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Starke Frauen. Renate Künast und Brigitte Zypries beim Bundespresseball 2008.

© dpa

Quadratur: Was ist eine starke Frau?

Jetzt sind ihre Blazer rechteckig gepolstert, die Haare fixiert. Die längste Zeit wurden Frauen ausgehalten, heute halten sie aus: politische Skandale, persönliche Desaster, Demütigung.

Silvana Koch-Mehrin sieht gut aus. Sie ist groß und blond, lacht viel und weiß, was sie wert ist. Das Europäische Parlament wollte sie im Juli in den ersten beiden Wahlgängen bekanntlich trotzdem nicht zu einer von 14 Stellvertretern des Präsidenten wählen – bei 15 Anwärtern. Zweimal erhielt sie das mit Abstand schlechteste Ergebnis, bis sie im dritten Durchgang knapp an einem homophoben Abtreibungsgegner aus Polen vorbeizog. Das It-Girl der FDP lächelte sich mit ausdruckslosem Blick durch das Debakel.

Wenige Wochen später strahlt eine braungebrannte, mit frischen Strähnchen versehene Ulla Schmidt in drohend vor ihr aufgebaute Kameras und erklärt einen Skandal für beendet, dessen Ende zu erklären ihr im Grunde gar nicht obliegt. Als sie sich dann abwendet, um dynamischen Schrittes zu wichtigeren Dingen zu eilen, offenbart die Seitenansicht einen kastenförmigen, blazergewandeten Oberkörper. Eine solche Statur haben derzeit alle weiblichen Regierungsmitglieder – außer Ursula von der Leyen.

Man mag versucht sein, sie für gute Schauspielerinnen zu halten, diese Frauen, die – anders als ihre Kolleginnen Heide Simonis und Andrea Ypsilanti – die Gesichtszüge unter Kontrolle und die Panik auszusperren in der Lage sind. Aber das provoziert die Frage, was da gespielt und von wem es inszeniert wird?

Gespielt wird die Tapferkeit vor dem Feind. Und der Feind ist alles, was im landläufigen Sinne die Idee – oder das Klischee – der Frau ist: Gefühle zeigen zum Beispiel. Tapfer ist es, Gefühle zu verstecken, zu ignorieren, zu überwinden, wie es Soldaten seit jeher tun – und seit geraumer Zeit sind ja auch die bisweilen weiblich. Während sich weniger relevante Protagonistinnen des öffentlichen Lebens wie in die Jahre oder in die Erfolglosigkeit gekommene Schauspielerinnen der Esoterik widmen, dem Zulassen im Allgemeinen und dem Zulassen aller Gefühle im Besonderen, braucht Macht Disziplin und Kontur . „Klare Kante“, wie der sehr kantige Müntefering zu sagen pflegte, bevor er sich die weicheren Konturen der späten Liebe zulegte.

Quadratisch gebaute Frauen lassen sich besser ins Kabinett stapeln. Ob Merkel, Zypries, Schavan, Wieczorek-Zeul oder eben Schmidt, allesamt verkörpern sie, mit ihren Oberkörpern und überhaupt, die Quadratur des Geschlechterkreises. Ich bin eine Frau, aber das hat mir und euch egal zu sein. Wichtig ist – und da sind sie ganz bei Helmut Kohl –, was hinten rauskommt.

Hinten darf immer nur das Überleben herauskommen. Nicht das der Besten, der Fähigsten, sondern eben derer, die es hinkriegen. Diese Überlebenden nennt man dann „starke Frauen“. Man will nicht sein wie sie, man findet sie auch nicht attraktiv, aber man respektiert ihre Fähigkeit zu überleben, mithin ihre Mutation. Die starke Frau ist eine soziale Mutation, wie die große Koalition eine politische Mutation ist. Man nähert sich einander an, weil man allein nicht überlebensfähig oder jedenfalls nicht machtfähig ist. Der Mächtigste ist immer der, der am meisten auszuhalten in der Lage ist. Als Angela Merkel noch ein „Kohl-Girl“ war, trug sie Blusen und das Haar wie es fiel.

Jetzt sind ihre Blazer rechteckig gepolstert, die Haare fixiert. Sie hat gesehen, wie Joschka Fischer zu Minu Baratis Eintänzer, Kurt Beck zum weinerlichen Metropolengegner und Christian Wulf zum Verteidiger des kleinen Glücks wurde. Die Schwäche der Männer wird zur Stärke der Frauen. Notgedrungen. Es ist ein Sieg, aber kein Fortschritt, den die Frauen errungen haben.

Die längste Zeit wurden Frauen ausgehalten, heute halten sie aus: politische Skandale, persönliche Desaster, Demütigung. Da liefert Karin Seehofer, trotzig an der Seite ihres Mannes verharrend, der nach unten schielt, Kinder zeugt und spekuliert, keine anderen Bilder als ihre Kolleginnen in politischen Amt und Würden. Eine legendäre Sendung lang moderierte Sabine Christiansen seinerzeit, 2001, wie im Wahn, nachdem sie von dem Verhältnis ihres Mannes Theo Baltz zu ihrer beider Freundin Ulla Kock am Brinck erfahren hatte. Dann nahm sie etliche Kilo ab und sich selbst einen neuen Mann und tat so, als sei Liebesverrat ein prima Diättipp.

Auch das gehört zum Bild wie zum Selbstbild der sogenannten starken Frau: Sie kann aus Demütigung Identität konstituieren. Hillary Clinton ist Außenministerin der USA und Monica Lewinsky nur mehr eine dicke Frau, die mal einem weltweiten Skandal ihr pummeliges Gesicht verliehen hat. Heidi Klum hat die medial ausgeweidete Zurückweisung des – seinerseits pummeligen – Flavio Briatore mit drei weiteren Seal-Kindern gekontert.

Sicher, bisweilen irrlichtert noch eine selbstzerstörerische Amy Winehouse durch ihren Exzess und die Medien, die ihn lustvoll abbilden. Aber auf sie kommen zehn Madonnas, die sich erst einen jüngeren Mann nehmen, um ihn nach dem Scheitern der Verbindung geräuschlos aus ihrer Trophäensammlung zu entsorgen. So wie auf jede augenflatternde Andrea Ypsilanti eine stoische Merkel kommt. Die starke Frau ist eine Frau, die sich von ihrem persönlichen Unglück in die Flucht nach vorn treiben lässt: Ich halte das aus, lautet ihr Mantra auf dem langen Marsch durch die Erniedrigung.

Das Scheitern als Wechselfall eines persönlichen wie popkulturellen wie politischen Lebens in Betracht zu ziehen, kommt nicht mehr infrage. Bei den Verfechterinnen des Überlebens um jeden Preis, da steht die Unfähigkeit zu scheitern hoch im Kurs.

Die Frauen, die wir als starke Frauen präsentiert bekommen, von Madonna bis Merkel, sie zeigen uns, dass es nicht darum geht, zu gewinnen, sondern darum, nicht zu verlieren: gegen die Männer, das Alter und das Scheitern. Also übt man sich mit lustigen Wahlplakaten in vorauseilendem Sexismus wie Vera Lengsfeld, oder legt sich eine vorauseilende Asexualität zu wie Angela Merkel. Oder man baut auf kantenfreie Attraktivität wie Koch-Mehrin oder Ursula von der Leyen.

Kurz: Es formt sich eine große Koalition aus den Erwartungen der Männer und der Bereitschaft der Frauen, diesen gerecht zu werden. Als augenzwinkernde Entsprechung der Erwartung, als Neutrum oder als Attraktionsschema an und für sich. Wir haben eine Kanzlerin, gewiss, und wahrscheinlich werden wir sie behalten. Wir haben Heidi Klum, die wir sicher behalten werden und mit ihr das große Missverständnis, das man Erfolg nennt. Ob Mann oder Frau, ist zwischenzeitlich so egal wie CDU oder SPD, wie öffentlich-rechtlich oder privat, wenn man vom Fernsehen spricht. Wir institutionalisieren die Vereinbarkeit des Unvereinbaren, weil wir es gemütlich haben wollen. Und nichts ist so alt wie die Ideologien von gestern.

Politisch bedeutet das die Sehnsucht nach der Fortsetzung der großen Koalition, feministisch ein dauerhaftes Ende dieser Debatte und ansonsten: alles, nur nicht anstrengend. Es ist ein Kreuz mit der Anstrengung, und also machen wir das unsere dort, wo es am wenigsten wehtut und gehen ansonsten unserer Wege des geringsten Widerstandes.

Heike-Melba Fendel leitet die Veranstaltungs- und Künstler-Agentur Barbarella. Von ihr ist soeben der Erzählungsband „Nur die. Ein Leben in 99 Geschichten“ erschienen (Verlag Hoffmann & Campe, Hamburg 2009, 156 S., 14,99 €). Die Buchpremiere ist am 10. September im Berliner Admiralspalast.

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