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Der Berliner Sänger und Dichter Till Lindemann.

© Jens Koch

Rammstein-Sänger als Dichter: Till Lindemanns einfach nur dumme Provokation mit einer Vergewaltigungsfantasie

Sänger und Dichter Till Lindemann wird für ein Gedicht in seinem neuen Buch angegriffen. Das ist berechtigt - und sollte noch weiter gehen. Ein Kommentar.

Es muss knallen - immer. Sex und Gewalt sind deshalb Lieblingsthemen von Till Lindemann. Ob in seinen Songtexten für Rammstein, auf seinen Soloalben oder in seinen Gedichten: Stets ist er auf Krawall gebürstet. Provokationslust und Pyrotechnik, damit füllt seine Berliner Band weltweit Stadien aus.

Till Lindemanns kürzlich erschienener Band „100 Gedichte“ (Hrsg. v. Alexander Gorkow. Kiepenheuer & Witsch, 160 Seiten, 18 €) reiht sich in diese Serie ein. Zwar wirken die meist kurzen, mal gereimten mal in freier Versform gehaltenen Gedichte ohne den donnernden Vortrag ihres Schöpfers nicht ganz so furchteinflößend wie viele seiner Lieder. Zum Gruseln ist hier dennoch einiges.

"Etwas Rohypnol im Wein"

Insbesondere das Gedicht „Wenn du schläfst“, in dem es heißt: „Schlaf gerne mit dir wenn du träumst/ Weil du alles hier versäumst/ Und genau so soll das sein (so soll das sein so/ macht das Spaß)/ Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas)/ Kannst dich gar nicht mehr bewegen“.

Diese Vergewaltigungfantasie hat heftige Kritik auf sich gezogen. Für viele - sowohl Frauen als auch Männer - ist es unverständlich, weshalb so etwas überhaupt veröffentlicht wird. Zumal nach zwei Jahren MeToo-Debatte und in Zeiten zunehmender Sensibilisierung für frauenverachtende Sprache.

Provokation als Geschäftsmodell

Dass der 57-jährige Till Lindemann, der erst letzte Woche aufgrund einer intensivmedizinischen Behandlung in den Schlagzeilen war, sich von solchen gesellschaftlichen Entwicklungen nicht beeindrucken lässt, verwundert allerdings kaum. Die Provokation ist sein Geschäftsmodell.

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Seitens des Verlags reagierte man gelassen: „Die moralische Empörung über den Text dieses Gedichts basiert auf einer Verwechslung des fiktionalen Sprechers, dem sogenannten ,lyrischen Ich’ mit dem Autor Till Lindemann. Die Differenz zwischen lyrischem Ich und Autor ist aber konstitutiv für jede Lektüre von Lyrik wie von Literatur allgemein und gilt für alle Gedichte des Bandes wie für Lyrik überhaupt“, schreibt KiWi-Chef Helge Malchow in einem Presse-Statement.

 Auch Widerwärtigkeiten fallen unter die Kunstfreiheit

Er verweist überdies auf die Kunstfreiheit und die zahlreichen Beispiele in der Weltliteratur, in denen das Böse beschrieben wird. „Dass der im Gedicht dargestellte Vorgang unter moralischen Gesichtspunkten zutiefst verwerflich ist, ist eine Selbstverständlichkeit und erlaubt keine persönliche Diffamierung des Autors“, heißt es weiter.

Selbstredend fallen die Lindemannschen Widerwärtigkeiten unter die Kunstfreiheit. Man könnte höchstens prüfen lassen, ob es sich um einen jugendgefährdenden Inhalt handelt. Allerdings wäre es höchste Zeit, einmal Till Lindemanns immer noch weitgehend unangetasteten Starstatus zu hinterfragen - und zu revidieren. Die von ihm geradezu mustergültig verkörperte toxische Männlichkeit, seine ewigen Macho-Posen, sie sollten angegriffen und nicht gefeiert werden.

 Verklärung als finsterer Romantiker

Einen weiteren Grund dafür liefert etwa das ekelhafte Gedicht „Am Strand“, in dem ein Mann mit einem Ständer in der Hose junge nackte Mädchen beobachtet. „Er ist alt/ Ihm wird heiß/ Den Mädchen kalt“, lauten die letzten Zeilen. Eine lyrische Perspektive, die man nur abstoßend finden kann - und bei der man sich natürlich fragt, warum ihr ein solches Podium geboten wird.

Dass Lindemann, der noch drei weitere Gedichtbände veröffentlicht hat, seit Jahren als finsterer Romantiker, als gequälte Seele und ähnliches verklärt wird, ist lachhaft - und zudem eine feige Ausweichbewegung. Um den Weltstar nicht angreifen zu müssen, projiziert man lieber allerlei in ihn hinein, baut ihn zu einem Dunkelmann auf, mit dessen Kunst man sich mal ganz ungeniert an Verwerflichem ergötzen kann.

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Lindemann verspritzt sein Gift in „100 Gedichte“ - auf dem Cover ist sinnigerweise ein Vierbeiner mit Peniskopf abgebildet -  nur hier und da. Es findet sich darin auch viel Albernes, Aphoristisches, sowie Naturlyrik und Balladenhaftes. Das sechseinhalbseitige „Toilette“ beschreibt etwa einen slapstickhaft verlaufenden Besuch auf einer Bahnhofstoilette. Zudem gibt es Gedichte übers Fleischessen, übers Pickelausdrücken oder das fehlende Begehren für die eigene Frau.

Ob sich dafür ein großer Verlag und ein SZ-Redakteur als Herausgeber gefunden hätten, wäre der Autor kein bekannter Rocksänger?

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