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Till Lindemann, links, der Frontmann von Rammstein, und rechst Peter Tägtgren, der Alternative-Metal-Musiker aus Schweden.

© Jens Koch/check your head/Universal/dpa

Das Märchen-Soloalbum des Rammstein-Sängers: Vor diesen Songs muss niemand Angst haben

Till Lindemann hat sein Soloalbum „F & M“ mit dem schwedischen Musiker Peter Tägtgren eingespielt. Darauf klingt er ganz anders als sonst.

Man hätte das kaum für möglich gehalten: Rammstein-Mastermind Till Lindemann kann auch Einschlaflieder. Vielleicht erinnerte er sich beim Texten seines Songs „Schlaf ein“ daran, wie er einst seinen Kindern und zuletzt seinem Enkel immer mal zur Nacht gesungen hat. „Wenn der Tag zu Ende geht/ Das letzte Licht vor Dunkel steht“, singt er in „Schlaf ein“ und versucht die Worte so sanft und so wenig dringlich-röhrend und so melodiös wie es ihm mit seiner Rammstein-Angst-und-Furcht-Stimme möglich ist, zu intonieren: „Du sollst nicht traurig sein/ Morgen wird die Sonne scheinen/ Schlaf ein“.

Dazu dräuen Streicher, wird das Stück von einem Piano strukturiert, auch Bläser sind dezent im Hintergrund zu hören. Macht schon schön ruhig und schläfrig, dieser Song.

Er gehört zu den sechs Stücken, die Lindemann mit seinem schwedischen Metal-Kollegen Peter Tägtgren für das von den estnischen Regisseuren Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo inszenierte Theaterstück „Hänsel und Gretel“ eingespielt hat, das im Frühjahr des vergangenen Jahres im Hamburger Thalia Theater Premiere hatte.

„F&M“ basiert auf Songs für ein Hänsel-und-Gretel-Theaterstück

Lindemann war hier auch als Kuttenträger, Latex-Anzugsmann und böser Mann im Wald zu sehen, allerdings nur auf eine Leinwand im Hintergrund projiziert.

Da Tägtgren und Lindemann dann schon einmal dabei waren mit neuen Songs, kamen sie gleich auf den Gedanken, ein ganzes Album einzuspielen, nach dem 2015 veröffentlichen „Skills in Pills“ das zweite der beiden Musiker, „F & M“ betitelt und am vergangenen Freitag erschienen.

Der Titel deutet an, dass sich hier wirklich niemand fürchten muss. Nicht vor Lindemann-Provokationen, nicht vor Feuerspeiereien und -schluckereien, nicht vor Spielereien mit Nazi-Ästhetik, nicht vor fiesen Textfallen. Die Buchstabenkombi „F & M“ ist eine kaum originelle Verweis-Spielerei (S & M, huhu, haha...) und steht für „Frau & Mann“.

Genau so heißt auf diesem Album ein kreuzsolides Indierock- und Alternative-Metal-Stück. Es handelt von Gegensätzen, die sich anziehen, halt wie „Schwarz und weiß, kalt und heiß/ Arm und reich, hart und weich“, so wie eben Frau und Mann. Nun ja, alte Schule. Wenn Lindemann am Ende noch ein „und aus“ haucht, weiß man, wem hier die Stunde schlägt.

Selbstverständlich wird das ganze Album halbwegs von Hänsel-und-Gretel-Motiven dominiert, atmosphärisch und auf Textebene: von Einsamkeit, Furcht, Hunger, Vertrauen und Misstrauen. Doch „F & M“ ist vor allem musikalisch eine kunterbunte Wundertüte.

Selbst einen Tango gibt es hier

Die fünf Theatersongs (einer ist nicht auf dem Album gelandet) sind zum Teil ruhiger, orchestraler als die anderen, ohne jedoch wie beispielsweise in „Allesfresser“ oder „Blut“ auf typische Metal-Haudrauf-Rammstein-Riffs und -Ausbrüche zu verzichten.

Es gibt jenes Einschlaflied, es gibt zwingende Bollerstücke und rollende Rs gleichermaßen wie Akustik- und Indie-Gitarren, und mit „Ach so gern“ gar eine Art Tango.

Und wenn man hie und da genauer hinhört, fühlt man sich leider dezent an den viel zu früh verstorbenen Hamburger „Die-Erde“-Musiker Tobias Gruben erinnert (der das weiß Gott, das ahnt auch Till Lindemann, nicht verdient hat).

Man könnte also tatsächlich auf den Gedanken kommen, dass „F & M“ für Lindemann eine Befreiung aus dem strammen Rammstein-Korsett war. Dass er auch anders können will, oft aber nicht kann und darf.

Immer dem Rammstein-Prinzip des Schockierens folgen zu müssen, kann eine Belastung sein.

Diesem Prinzip entkommt der Sänger und Texter ja selbst nicht in seinen Gedichtbänden, die er inzwischen relativ regelmäßig veröffentlicht (im nächsten Frühjahr erscheint mit „100 Gedichte“ eine weitere Lindemann-Lyrik-Sammlung) und ihn doch nicht einmal zu einem kleinen Gottfried Benn gemacht haben.

Till Lindemann versucht sich als Ironiker

Auch auf „F & M“ gibt es manchen dezenten Schockmoment, manche Doppeldeutigkeit, viel Schmerz, Blut, Tränen etc. Da ist der Frauenheld aus dem Tango-Stück mutmaßlich ein Vergewaltiger („Ich nahm sie einfach in die Arme/ Und manche hauchte leise:„Nein/ Doch ich kannte kein Erbarmen/ Am Ende sollten sie's bereuen“); da hat das Kind einen Knebel im Mund, klar, die Hexe hat es gefangen; und da weckt auch der Song „Gummi“ allerlei Assoziationen mit Lyrics wie „Ich liebe Gummihände auf dem Bauch/ Gummimasse, Gummischlauch/ Gummibänder, fest und lose/ Gummirock und Gummihose.“

Doch in seiner Gesamtheit ist all das, was Lindemann hier zum besten gibt, erstaunlich milde und gedimmt, eindeutig und profan. Die Stücke „Ich weiß es nicht“ und „Wer weiß das schon“ sind da repräsentativ, bei allem Wissensbemühen des Rock´n´ Roll- und Lyrik-Künstlers. Am Ende läuft es auf Platz eins der Charts hinaus, wie bei jedem Rammstein-Album, da ist Lindemann der Star im Rampenlicht, als der er sich hier in dem in seinem Sound an die achtziger Jahre erinnernden Stück „Platz eins“ porträtiert.

Das soll Ironie sein, schon verstanden, eine vorsichtige Parodie, „der Text dabei ist gar nicht wichtig“. Doch Selbstironie ist nicht die größte Stärke Lindemanns. Dann lieber „1000 Jahre Bier“ von Deichkind, die bislang beste Rammstein-Parodie aller Zeiten.

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