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Chefdirigent Kirill Petrenko mit den Berliner Philharmonikern am Donnerstag in der Philharmonie.

© Monika Rittershaus

Riese auf zarten Ballettfüßen: Die Philharmoniker spielen Dutilleux und Bartók

Es geht auch ohne Beethoven und Brahms: Für ihr aktuelles Konzert spannen die Berliner Philharmoniker zwei Komponisten des 20. Jahrhunderts zusammen.

Es beginnt mit einem fernen, noch ganz verhaltenen Zupfen; einer Basslinie, die das Fundament das ganzen ersten Satzes bildet. Schrittweise kommen sanfte Streicher dazu, bevor die die Musik schnell und unerwartet in einem grellen Klanggebilde explodiert. Mit seiner 1. Symphonie gelang Henri Dutilleux 1951 der künstlerische Durchbruch, und vieles von dem, was sein insgesamt schmal gebliebenes Oeuvre prägt, ist hier wie unter dem Brennglas zu besichtigen: der spätromantische Gestus, der sich allen Strömungen der damaligen zeitgenössischen Musik verweigert und eine ganz eigene Ausdruckskraft, eine eigene Widerständigkeit entwickelt, voller Symbolismen, mystizistisch grundiert, spielend mit Prinzipien der Wiederkehr, mit (im 1. und 4. Satz) Variationen und Metamorphosen. 

In der Philharmonie spielen die Berliner Philharmoniker das Werk des 2013 verstorbenen französischen Komponisten zum ersten Mal, und sie bringen dessen fiebrigen Figurationen zum Leuchten. Kirill Petrenko dirigiert, wie es seine immer sehr erfolgreiche Art ist, ganz ausbuchstabiert und dabei voller Power und Energie, gestaltet Inseln von gelassener Lieblichkeit in den Mittelsätzen, bevor er den Finalsatz dramatisch hochschaukelt – um ihn schließlich in der Stille, aus der dieses Symphonie kam, verdämmern zu lassen. Einen „Übergang zwischen Realität und Traum“ wollte Dutilleux darin sehen. Den Philharmonikern jedenfalls scheint seine Musiksprache eine Menge zu sagen. 

Die Dramatik von Dutilleux‘ Kompositionsstil nimmt bereits das zweite Stück des Abends vorweg, ebenfalls aus dem 20. Jahrhundert (1917): Béla Bartóks „Der Holzgeschnitzte Prinz“, eine Ballettmusik, die ein eigenständiges Leben im Konzertsaal führt, so wie auch die titelgebende Puppe. Die wird nämlich von einem echten Prinzen losgeschickt, um die Prinzessin auf der anderen Seite des Flusses für sich zu gewinnen. Blöd nur, dass die junge Dame sich in den Holzknaben verliebt, von seinem Schöpfer aber nichts wissen will. Das Ganze ist von seinem Autor Béla Balázs als Parabel auf die Konkurrenz von Künstler und Kunstwerk angelegt: Der Maler, die Dichterin, der Komponist haben keine Kontrolle mehr über das, was ihr Werk anstellt, wenn es einmal veröffentlicht ist. 

Fantastische Musik hat Bartók dazu geschrieben – und fantastisch wird sie auch von Petrenko und den Philharmonikern interpretiert: von den an Rheingold“ erinnernden aufsteigenden Dreiklängen zu Beginn über die gelegentlich in Blöcken unisono agierenden Streicher zu den vielen kleinen Phrasen, denen Petrenko jeweils an Maximum an Aufmerksamkeit widmet. Alles fließt, lebt, glitzert, tanzt, ein Riesenorchester auf zarten Ballettfüßen, agil, wendig, biegsam. Petrenko gibt den Einpeitscher, dirigiert auch mit seiner Mimik, schneidet regelrechte Grimassen. So grandios klingt das alles, dass man sofort den Wunsch verspürt, das entsprechende Ballett dazu zu sehen. Kommt auch nicht so häufig vor. 

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