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Unerfülltes Freiheitsversprechen: Julia (Julie Ledru, links) nimmt Ophélie (Antonia Buresi) mit auf eine Spritztour.

© PLAION PICTURES

„Rodeo“ im Kino: Emanzipationsgeschichte mit Pferdestärken

Lola Quivorons „Rodeo“ bringt zwischen Motorenlärm und Auspuff-Abgasen einen neuen französischen Kinostar hervor. Die Debütantin Julie Ledru ist eine Wucht.

Von Andreas Busche

„Du weißt, wie man mit Typen spricht“, meint Kaïs einmal anerkennend zu dem verstockten Mädchen. Es steckt jedoch nichts Anzügliches hinter seiner Bemerkung, obwohl ein erotisches Kribbeln mitschwingt, wenn sie maschinenölverschmiert über Motorräder und Pferdestärken spricht. Und über eine waghalsige Diebestour, die Julia, die sich anfangs noch als Niemand vorstellt – weil sie wie alle Figuren in Lola Quivorons „Rodeo“ keine Geschichte hat –, den Respekt der Motorradgang, ihrer neuen Familie, sichern soll. Inspiration hat sie im Internet gefunden: das Video eines Diebstahls von Motorrädern, von der Ladefläche eines Lastwagens herunter. Bei voller Fahrt.

Adrenalinbrausende Energie von „Fast and Furious“

Bei voller Fahrt, das trifft auch auf „Rodeo“ und seine Hauptdarstellerin zu, die junge Debütantin Julie Ledru. Quivoron hat sie am Rande der Rennstrecken in den französischen Vorstädten entdeckt, wo jugendliche Motocross-Fahrer – die meisten mit migrantischen Biografien – illegale Straßenturniere abhalten.

Die 34-jährige Regisseurin hat bereits einen kurzen Dokumentarfilm über diese Szene gedreht, und man versteht augenblicklich, was sie an Ledru, deren finstere Miene beim Röhren der Motoren, im bläulichen Qualm der Abgase, zu leuchten beginnt, begeistert hat. Es ist eine eigene Welt, die Kameramann Raphaël Vandenbussche nicht mit dem sozialrealistischen Gestus der Dardenne-Brüder einfängt; eher schon mit der adrenalinbrausenden Energie der „Fast and Furious“-Filme.

Es ist also folgerichtig, dass „Rodeo“ so nah an seiner Hauptfigur klebt, dass die Geschichten um sie herum nur skizzenhaft bleiben: Ledru trägt diesen Film allein, mit einer Mischung aus Trotz und Wut. Gleich die Eröffnungsszene ist ein Streit mit dem Bruder in der gemeinsamen Wohnung (er hat ihr Motorrad verscherbelt), die die junge Frau schnell für einen Schlafplatz in der Garage der „Wings“ eintauscht, welchen Kaïs (Yanis Lafki) ihr anbietet.

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Die Motorradgang ist Neuen gegenüber misstrauisch, erst recht gegenüber Mädchen, die sich nicht mit der Rolle auf dem Sozius zufriedengeben. Bei einer Party tigert sie distanziert zwischen den tanzenden Freundinnen der Fahrer mit ihren manikürten Fingernägeln und Handtäschchen herum, die auch einmal das Gaspedal durchtreten dürfen: Julia ist definitiv keine Beifahrerin, aber zu den Jungs gehört sie auch noch nicht.

Das Motorrad als Sinnbild für Teilhabe

Natürlich gibt es im Kino kaum eine abgegriffenere Metapher als das Motorrad als Sinnbild von Freiheit; aber im Milieu, das „Rodeo“ beschreibt, den französischen Vorstädten mit ihren hohen migrantischen Bevölkerungsanteilen, bedeutet das Motorrad eben auch Teilhabe.

„Bist Du aus der Karibik?“, fragt Kaïs Julia einmal, und seine Frage signalisiert Zugehörigkeit. Unter den Ausgestoßenen der Gesellschaft fühlt Julia sich aufgenommen, ihre eigenen Motorräder klaut sie weißen Mittelstandsvätern in der Midlife-Krise.

Ihre kriminelle Energie hat sie ebenfalls mit den Fahrern gemeinsam. Sie arbeiten für Domino (Sébastien Schroeder), der die „Wings“ aus dem Gefängnis heraus anführt. Die Gang klaut Motorräder, spritzt sie um und verkauft sie auf dem Schwarzmarkt weiter. Dominos Frau Ophélie, gespielt von Ko-Autorin Antonia Buresi, wird für einen Moment zu Julias weiblicher Verbündeter.

Waghalsige Manöver am Rande der Legalität. Die Motorrad-Rodeos in den französischen Vorstädten.

© Plaion Pictures

Ein vermeintlich heimlicher Motorradausflug mit ihr und ihrem kleinen Sohn Kylian (Cody Schroeder), der von Domino allerdings nicht unbemerkt bleibt, ist jedoch ein weiteres Freiheitsversprechen, das unerfüllt bleibt. So ist Julia tatsächlich auf sich allein gestellt. Das Drehbuch bietet ihre keine Allianzen (leider hat sich auch die Autorin keine stärkere Figur geschrieben), die kurz angedeutete Romanze mit Kaïs erweist sich ebenfalls als Finte.

Ein Geisterfilm mit Pferdestärken

Einzige Antrieb von „Rodeo“ ist der Todesmut Julias, der früh angedeutet wird. Ihre Initiation in die Gruppe ist der Tod eines Fahrers: Abra (Dave Nsaman) hat ihr die ersten Tricks beigebracht und die Regeln eines Rodeos erklärt. Aber er stirbt bei einem Unfall auf der Rennstrecke, Julias Rettungsversuche verletzen das maskuline Ethos der anderen Fahrer. Sie nennen sie „Hexe“, noch die freundlichste Bezeichnung.

Nachts sucht Abra Julia fortan in ihren Träumen heim, wobei nicht klar wird, welche Gefühle sie mit seinem Tod verbindet. Dafür sind die Emotionen im Spiel von Ledru, beziehungsweise in den zwischenmenschlichen Interaktionen Julias, zu roh, fast ursprünglich; ihre Libido ist ganz auf die Karosserien fokussiert, die sie in der Dunkelheit der Werkstatt liebevoll streichelt.

So bleiben auch die fast schwesterlichen Gefühle für Ophélies kleinen Sohn eher eine Drehbuch-Behauptung. In seinen Metaphern und in der rudimentären Figuren-Psychologie wirkt „Rodeo“ manchmal überfordert. Die Übergänge von Realismus und Metaphysik sind eigentlich nur plausibel – dann allerdings mit einer Wucht, wie man sie im Kino selten erlebt! –, wenn Quivorons Film sich dem Rausch der Geschwindigkeit, dem Metall der Karosserien und dem Fetisch der Pferdestärken hingibt.

Der unvermeidliche Crash ist in „Rodeo“ kein Fehler im System, sondern ein Charakteristikum. Der Preis der Freiheit. Und was sich da am Ende wie ein Geist aus dem brennenden Wrack erhebt, ist keine Heilsfigur. Julia bewegt sich bloß zwischen Leben und Tod.

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