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Starke Stimme. Die Schriftstellerin Gisela Elsner (1937-1992) im Jahr 1968.

© ULLSTEIN - TAPPE/ULLSTEIN - TAPPE

Schreibendes Freiwild: Die Frauen der Gruppe 47

Nicole Seifert will dem in der legendären Schriftstellervereinigung an den Rand gedrängten Geschlecht endlich Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Ein kleines Spiel: Wer fällt Ihnen ein, wenn Sie an die Gruppe 47 denken? Der große Zampano Hans Werner Richter vielleicht? Heinrich Böll und Günter Grass, Martin Walser und Hans Magnus Enzensberger? Der selbstbewusst stotternde Peter Handke mit seiner Autorenbeschimpfung und der unverstandene Paul Celan, von dem Richter sagte, der habe im „Tonfall von Goebbels“ gelesen. Ach ja, die Großkritiker Walter Jens und Reich-Ranicki, die Professoren Höllerer und Mayer vermutlich. Und vielleicht denkt man noch an Ingeborg Bachmann, „viel blondes Haar, sanftbraune Augen, still und scheu in Ausdruck und Rede“, wie sie der „Spiegel“ 1954 unverhohlen paternalistisch charakterisierte.

Ingeborg Bachmann ist die einzige Frau, die es im Kreis dieser für die Nachkriegsliteratur und den Literaturbetrieb bedeutsamen Autorenzusammenkunft zu größerem Ruhm gebracht hat, vermutlich, weil sie für die Beteiligten ein anziehendes Rollenmuster bediente: eben eine gewisse Form von „stiller und scheuer“ Weiblichkeit repräsentierte, etwas Schutzbedürftiges ausstrahlte, was die Männer ihr willfährig zu Hilfe eilen ließ.

In einem Bericht erinnerte sich Ingeborg Bachmann an ihre erste Einladung zur Gruppe: „Am zweiten Tag wollte ich abreisen, am dritten Tag las ich ein paar Gedichte vor, vor Aufregung am Ersticken, ein freundlicher Schriftsteller las sie nochmals laut und deutlich vor, einige Herren sagten [etwas] dazu (…).“

Neubewertung von Werken

„Einige Herren sagten etwas dazu“ – so lautet nun auch der Titel des neuen Werks der Literaturwissenschaftlerin und Buchbloggerin Nicole Seifert, die 2021 mit „Frauen Literatur. Abgewertet, Vergessen, Wiederentdeckt“ nicht nur einen Überraschungserfolg landete, sondern auch einige Diskussionen über noch immer spürbare Ungleichheiten in der Wertung von literarischen Werken weiblicher und männlicher Provenienz auslöste.

Nun nimmt sie sich die gar nicht so wenigen Autorinnen vor, die während der 20-jährigen Geschichte der Gruppe 47 auf dem „elektrischen Stuhl“ neben Hans Werner Richter Platz genommen hatten – aber eher als Randfiguren in den Memoiren und Aufzeichnungen der Protagonisten oder den verdienstvollen Untersuchungen zu dieser prägenden Institution auftauchen.

Für einige von ihnen war der begehrte Einladungsbrief Richters, mit dem er machtbewusst seine Literaturagenda exekutierte, kein Sprungbrett, sondern eine Fallgrube. So erging es etwa Griseldis L. Fleming, die 1964 im schwedischen Sigtuna Gedichte las, denen die sich zu Wort meldenden Teilnehmer ästhetisch nicht gewachsen sein wollten.

Gerupft und fallen gelassen

Fleming fiel also dramatisch durch, endete, wie sie selbst schrieb, als „Lyrikleiche“. „Nach einer Woche Schweden mit der Gruppe 47“, bekannte sie Hans Werner Richter, „nach Vorlesen, Gerupftwerden, Fallengelassen und dem mitleidvollen Aufnehmen von den einen oder anderen Herren und sei es nur aus Neugierde geschehen um die nicht zu leugnende Tatsache, dass ich eine Frau bin – schliesslich kleinaeugig und mutlos wieder nach Palermo zurueckgekehrt, mit ein bisschen Verzweiflung und ein bißchen grollendem Loewenmut, mit der Resignation eines verabschiedeten Buerogehilfen –“.

Die Gruppe 47 konnte eine Karriere in Schwung bringen, aber eben auch zerstören. Die Erfahrungen der Autorinnen, die häufig alleine deshalb, weil sie aus ihrer, also einer weiblichen Perspektive schrieben oder eigene formale Wege gingen, auf massiven Widerstand stießen, ähneln sich. „Die Frau ist fürs Feuer!“, bekam Ruth Rehmann 1958 in Großholzleute zu hören.

Die dichtenden Damen waren, auch das wird aus vielen später veröffentlichten Berichten klar, nicht zuletzt als Tanzpartnerinnen, potenzielle Geliebte und ihres adretten Aussehens wegen eingeladen. „Die Frauen waren eigentlich Freiwild zu dieser Zeit. Sie hatten den Mund zu halten und mit ins Bett zu gehen, auch bei den gleichaltrigen Männern. Dagegen gab es keinen Aufstand“, erinnerte sich Elisabeth Plessen, die 1967 mit 23 Jahren in der oberfränkischen Pulvermühle dabei war.

Dezidierte Geschlechterzuschreibung

Sehr dezidierte Geschlechterzuschreibungen und eine traditionelle Ablehnung weiblichen Schreibens trafen bei vielen Herren der Gruppe 47 zielsicher zusammen. Und wenn Texte doch Gefallen fanden – wie etwa die von Ruth Rehmann oder Ingrid Bachér –, dann tauchte am nächsten Tag garantiert ein männliches Genie auf, das den Preis, die Schlagzeilen und den Nachruhm einheimste. Im Jahr 1958 war es der leidenschaftliche Tänzer und Bildhauer Günter Grass, der einen Ausschnitt aus der „Blechtrommel“ vortrug.

Nicole Seifert deckt die Mechanismen, die hinter dem Übergehen, Verwerfen und Missverstehen stecken, nüchtern und anschaulich auf. Je innovativer und provokanter die Texte von Autorinnen wie Helga M. Novak, Christa Reinig oder Gabriele Wohmann gewesen seien, desto geringer die Neigung, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Die tonangebenden Literaturbetriebler mussten eben auch immer Positionen, Themen und Stilnormen verteidigen. Was Seiferts Buch darüber hinaus äußerst lesenswert macht, sind die dichten Porträts von Autorinnen wie Ilse Schneider-Lengyel, Gisela Elsner oder Barbara König, und die aus genauen Lektüren resultierenden Würdigungen wichtiger ihrer Werke.

„Viele Texte der Autorinnen der Gruppe 47 waren ihrer Zeit und ihren Kritikern inhaltlich wie ästhetisch voraus und lesen sich siebzig Jahre nach ihrem Entstehen subversiv und aktuell“, schreibt Seifert. „Diese Frauen brillierten mit ihrer scharfen Beobachtungsgabe, ihrer Sensibilität, ihrem Mut und ihrer kritischen Intelligenz, die Eingang in ihre Literatur fanden. Was wohl hätte sein können, hätte man sie ernst genommen, wären diese Texte nicht teils verschollen, wären sie weiterhin aufgelegt und gelesen worden, wären sie Schullektüre? Wie anders sie hätten leben und alt werden können was sie wohl noch geschrieben hätten, wären diese Autorinnen angemessen gewürdigt und gefördert worden. Was uns entgangen ist.“

Zum Glück wurden in den letzten Jahren einige der fast Vergessenen wiederentdeckt, zumindest wieder aufgelegt. Ruth Rehmann, Elisabeth Plessen oder Helga M. Novak kann man lesen – und so lässt sich nachträglich die Literaturgeschichte ein bisschen zurechtruckeln.

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