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Blick in die Ausstellung, im Vordergrund eine Skulptur von Haneyl Chois.

© Galerie Esther Schipper / Andrea Rossetti

Silberkohle: Kunst aus Korea bei Esther Schipper

Die Galerie Esther Schipper hat nicht nur eine Dependance in Seoul eröffnet, sondern holt auch koreanische Künstler:innen nach Berlin.

Entwicklungen wie NFTs sehen wir als einen Investment-Trend. Das wird in der Kunstszene nicht besonders ernst genommen.

 Sunil Kim, Leiterin der Galerie Esther Schipper in Seoul

Die Skulptur von Haneyl Chois liegt ausgestreckt auf dem Boden. Tentakel ragen in die Luft, einzelne Körperteile sind scheinbar ungeordnet und lose angehäuft. Doch trotz der fragmentierten Arme und Beine entsteht nicht der Eindruck von Horror oder Grusel. Vielmehr scheinen die Gliedmaßen wie in einem intimen körperlichen Akt zu verschmelzen, sich genüsslich und fröhlich zu verschlingen. Der Bildhauer, der sich in seinem Werk auch mit queerer Identität auseinandersetzt, fokussiert das Menschliche, die Notwendigkeit des physischen Kontakts, den wir während der Pandemie so schmerzlich vermisst haben.

Chois’ Skulptur kann auch als Kommentar zum Titel der Ausstellung in der Galerie Esther Schipper (Potsdamer Str. 81E, bis 31.8.) gelesen werden. „Dui Jip Ki“ ist im Koreanischen ein mehrdeutiger Begriff. Einerseits ist es das Drehen und Wenden von alltäglichen Dingen, der Wandel der Sinne für alternative Ideen, und andererseits ist er im traditionellen koreanischen Ringkampf geläufig – wenn der Gegner in die Rückenlage gezwungen wird.

Insgesamt acht koreanische Künstler:innen aus fünf Generationen versammelt die Gruppenschau, und für das Galerieprogramm ungewöhnlich: So viel Malerei in einer Ausstellung war bei Esther Schipper noch nie zu sehen. Zudem vermutet man aus dem Land von K-Pop und Tech-Giganten eher Kunst mit neuesten innovativen und digitalen Medien.

„Es gibt in Korea eine bedeutende Community von Maler:innen, die in einem intensiven Austausch steht“, sagt Sunil Kim vom Kurator:innen-Team und Leiterin der Galerie in Seoul. „Entwicklungen wie beispielsweise NFTs sehen wir als einen Investment-Trend. Das wird in der Kunstszene nicht besonders ernst genommen.“ Was nicht bedeutet, dass die zeitgenössische koreanische Malerei bei Öl, Tusche und Pinsel stehen geblieben ist.

Das in jeder Hinsicht spektakulärste Gemälde kommt von Jin Meyerson. Ein Ölbild mit digitalem Bonusmaterial. Endlose Schluchten, ein Raum, der gleichsam ins Innere und in ein nicht näher bestimmbares Außen führt. Drum herum Bahnen wie Jahresringe von Bäumen oder Verkehrsadern. „Blade Runner“ lässt grüßen. Es ist ein Blick wie durch die 3D-Brille, den Meyerson mit geradezu immersiver Wucht in seinem monumentalen „Stagedive“ entfaltet. Tatsächlich ein Sog und eine scheinbare Dreidimensionalität, mit der der 1972 in Korea geborene Künstler alles in Bewegung und einen magischen Fluss versetzt, in geradezu hellen Aufruhr. Vor der Leinwand ist ein QR-Code, über den die Besucher:innen außerdem in die digitalen Schichten der Malerei eintauchen können.

Insgesamt rund 70 Arbeiten sind in Berlin zu sehen, unter anderem von der 1986 geborenen Suyeon Kim, von Taek Sang Kim und dem emeritierten Professor Hong Joo Kim, mit 78 Jahren der älteste Künstler. Ein weiterer Teil läuft parallel in Seoul, wo die in Taipeh geborene Galeristin Schipper vergangenes Jahr neben Paris ebenfalls eine Dependance eröffnet hat.

Einen eigenen Weg zwischen traditionellen asiatischen Tuschebildern, zeitgenössischem Ausdruck und Manga-Ästhetik geht Donghyun Son mit „Travelers among mountains and streams“ und Hyunsun Jeon, die jüngste Künstlerin der Ausstellung, weitet die Malerei in den Raum und installiert abstrahierte und surreal collagierte Landschaften mit flächig aufgetragener Aquarellfarbe zu einem Rondell im 360-Grad-Panorama.

Schwarz und silbrig schillernd – unergründlich ist Lee Baes mit Holzkohle gefertigte, großformatige Leinwand „Aus dem Feuer kommend“. Das bildfüllende Konglomerat aus Kohlebrocken ruft zugleich kubistische Formungen auf und völlige Abstraktion, in der sich via Materialität vielschichtige Erinnerungen ablagern. Kohle symbolisiert in Südkorea das Haus entfeuchten oder die Abwehr böser Mächte. Dem in einem Neujahrsritual verbrannten Pinienholz werden im karbonisierten Zustand reinigende und spirituelle Kräfte zugesagt.

In meditativen Performances entstehen die „Brushstrokes“ des zwischen Paris und Seoul lebenden Künstlers, Papierarbeiten mit breiten Schwüngen aus zu Tinte verarbeiteter Kohle und auch die knapp drei Meter hohe Bronze „Brushstroke 2-2“ betont das Raum-Zeit-Kontinuum, in dem die Skulptur in dynamischen Windungen aufsteigt. Eine überaus sehenswerte Ausstellung mit ebenso heterogenen wie starken malerischen Positionen.

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