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Forschung mitten im Museum: Hier werden Insekten digitalisiert.

© Thomas Rosenthal

Das neue Berliner Naturkundemuseum: Partys für die Artenvielfalt

Das Museum für Naturkunde, das eine große Förderung für seinen Umbau bekommt, hat einen enormen Fundus an allem, was mal lebte oder vegetierte. Mit neuen Strategien will man daraus Wissen schöpfen und vermitteln.

Von Katharina Rudolph

Minerale und Gesteine, Krebstiere, Meteorite, Fliegen, Mücken, Flöhe, Mollusken, Spinnentiere und Tausendfüßler, fossile Säuger und vieles mehr: rund 30 Millionen Objekte beherbergt das Museum für Naturkunde Berlin (MfN). Anders als manch anderer, auf Hochglanz polierter Museumsaltbau aber wirkt das zwischen 1885 und 1889 errichtete Ausstellungshaus von innen wenig ertüchtigt. Nur Abschnitte des Gebäudes wurden bisher saniert und sind öffentlich zugänglich, an anderen Stellen können Dächer und Fassaden bei Starkregen eindringendem Wasser kaum standhalten. Das sind keine guten Voraussetzungen, um ein kostbares Stück Naturerbe aufzubewahren.

Der Botaniker Johannes Vogel, der über das Sexualleben von Farnen promoviert hat und Chefkurator am Natural History Museum in London war, leitet das Haus als Generaldirektor mit dem Geschäftsführer Stephan Junker, der auch Vizepräsident der Leibniz-Gemeinschaft ist. Gemeinsam führen sie durch den einst schmuckvollen historischen Vogelsaal im ersten Stock: Der ist heute in bedauernswertem Zustand, beherbergt laut dem Direktor aber „eine der größten, ältesten und wichtigsten Vogel-Sammlungen der Welt“.

Johannes Vogel (rechts) ist Generaldirektor des Naturkundemuseums, Stephan Junker (links) sein Geschäftsführer.
Johannes Vogel (rechts) ist Generaldirektor des Naturkundemuseums, Stephan Junker (links) sein Geschäftsführer.

© Pablo Castagnola

Präparierte Enten, Pinguine, Kolibris: Jahrzehnte standen sie hier eng an eng in Vitrinen, hinter und nebeneinander aufgereiht, in den Federn der Staub von bis zu zwei Jahrhunderten. Seit kurzem sind nun alle über 11.000 Exponate ausgelagert, damit der Raum saniert werden kann. Die Tiere wurden gereinigt, neu etikettiert, fotografiert, digitalisiert.

Beim Treffen mit Junker und Vogel warten noch letzte Kandidaten auf den Umzug, unter ihnen ein kleiner Hautrotschwanz. Ein roter Punkt kennzeichnet das Tier als Typus, erklärt Vogel, anhand genau dieses Hausrotschwanzes wurde die Art also erstmals beschrieben. 1,8 Millionen beschriebene Arten gibt es weltweit, jede von ihnen hat exakt ein Typus-Exemplar. Zehn Prozent dieser Urmeter befinden sich heute im Berliner Museum. „Jetzt überlegen Sie mal, wie es hier aussehen würde, wenn wir zehn Prozent aller Picassos hätten“, sagt Vogel, um einen Vergleich zu in seinen Augen besser ausgestatteten Kunsthäusern zu ziehen.

Ein „Haus der Teilhabe“ soll entstehen

Dass jeder denke, sein Haus brauche kein Geld, wie der Generaldirektor an diesem Tag sagt, ist natürlich eine typisch Vogel’sche Zuspitzung. Denn immerhin unterstützen Bund und Land Berlin das MfN mit einer Großinvestition von 660 Millionen Euro. Die Sonderförderung soll das integrierte Forschungsmuseum der Leibniz-Gemeinschaft, das nicht nur Dino-Skelette ausstellt, sondern auch Spitzenforschung betreibt, fit für die Zukunft machen.

Aber bis hierhin war es ein weiter Weg. Und die Zuwendung reiche, das machen die beiden Museumsleiter immer wieder deutlich, auf lange Sicht nicht aus. Etwa 19 Millionen erhalte das Haus über die institutionelle Förderung als Grundetat pro Jahr, erklärt Junker. Man sei enorm dankbar für die 660 Millionen, aber „was den Grundhaushalt angeht, sind wir das unterfinanzierteste der großen Naturkundemuseen der Welt“, so Vogel.

730.000
Besucher:innen kamen im Jahr 2022 ins Naturkundemuseum

Zwei Drittel der Gelder von Bund und Land werden in die bauliche Ertüchtigung des denkmalgeschützten Museumsbaus investiert. Die Baumaßnahmen umfassen neben weiteren Sanierungen auch Umbauten im Bestand, für die ein Architekturwettbewerb ausgelobt wurde. Der Siegerentwurf des Büros Gerkan, Marg und Partner (gmp), das verantwortlich ist für die Flughäfen Tegel und BER, sieht unter anderem einen großzügigen Eingangsbereich im Sauriersaal für den Ticketverkauf vor. Gerade findet dieser noch an kümmerlichen Container-Schaltern im Freien statt. Außerdem sollen die beiden Innenhöfe des Gebäudekomplexes überdacht werden, um neue Ausstellungsflächen zu gewinnen. Ob sich der gmp-Entwurf allerdings wirklich durchsetzt, ist noch unklar.

Fest steht indes: Das Museum soll zu seiner ursprünglichen Bestimmung zurück. Es wurde als ein fürs Publikum in weiten Teilen zugängliches „Haus der Teilhabe“ gebaut, erklärt Vogel, was man beispielsweise an den repräsentativen Treppenhäusern erkennt. Dann aber schloss man die Wissenschaft weg, weil eine strikte Trennung von Sammlung, Forschung und Öffentlichkeit in Mode kam. Die eindrucksvollen Treppenhäuser und die oberen Etagen sind bis heute fürs Publikum gesperrt.

Auf der „Digitalisierungstraße“ werden hunderttausende Insekten konservatorisch aufgearbeitet, fotografiert und in die Datenbank eingetragen.
Auf der „Digitalisierungstraße“ werden hunderttausende Insekten konservatorisch aufgearbeitet, fotografiert und in die Datenbank eingetragen.

© Thomas Rosenthal

Das wird sich nun bald ändern, und auch einen barrierefreien Haupteingang soll es endlich geben. Neben dem baulichen Teil fußt der vom Haus entwickelte Zukunftsplan – dessen Credo, so könnte man sagen, Museum öffne dich! lautet – auf zwei weiteren Säulen: dem Wissenstransfer und der Sammlungserschließung. Darauf entfällt das restliche Drittel der 660 Millionen.

Alte Exponate treffen auf HighTech

Wie die Sammlungserschließung vorangeht, zeigt nicht nur das Beispiel der Vögel. Auf den Youtube-Videos des Museums sieht man etwa, wie Wissenschaftler:innen mittels eines Roboter-Arms den komplexen 3D-Scan eines Schädels aus der Paarhufersammlung erstellen oder wie ein kleiner Koala aus der Embryologischen Sammlung mit einem tonnenschweren CT durchleuchtet wird. Und mitten in der Ausstellung können Besuchende einer „Digitalisierungsstraße“ bei der Arbeit zuschauen: Hunderttausende Insekten werden in einem Zusammenspiel aus Mensch und Maschine konservatorisch aufgearbeitet, fotografiert und digital erfasst.

Bilder und Informationen zu jedem Objekt, ob winzig klein oder riesengroß, für jedermann jederzeit online verfügbar, so lautet die Museums-Mission. „Die Kolleginnen finden jede Biene in wenigen Minuten, wenn sie wissen, wie sie heißt“, erklärt Frederik Berger, Leiter der Sammlungsdigitalisierung. „Aber wenn man nach einem Ort oder Sammler sucht, hat man keine Chance, das Tier zu finden. Das Digitale wird uns helfen, das möglich zu machen – und mit anderen Fragestellungen an die Sammlung heranzutreten.“

Daten aus der Sammlung sollen weltweit zugänglich werden

Das Museum will mit seiner digitalisierten Sammlung Informationen liefern, aus denen rund um den Globus neues Wissen entstehen kann. Denn wenn erst einmal alle 30 Millionen Objekte in der Online-Datenbank sind, die jetzt schon in einer Betaversion öffentlich verfügbar ist, können Forschende am anderen Ende der Welt mit all den Einträgen zu Tieren, Insekten und Pflanzen, die das Berliner Museum zur Verfügung stellt, arbeiten und zu neuen Erkenntnissen kommen.

Angesichts der vielen gesellschaftlichen Herausforderungen liegt es nahe, auch Bildungsorte wie Museen mit in die Pflicht zu nehmen, Zusammenhalt und Konsens zu stiften. Stephan Junker verweist aufs Wissenschaftsbarometer, in dem zwar 62 Prozent der Befragten angeben, dass sie der Forschung vertrauen. Im Umkehrschluss aber sei der Rest unentschieden, habe kaum oder gar kein Vertrauen. Vogel fügt hinzu, gerade bei „Menschen mit niedrigem Bildungsniveau“ käme die Wissenschaft schlecht weg, hier würden „nur 44 Prozent an sie glauben.“

Die beiden sehen es daher als ihren Auftrag, mit niederschwelliger Kommunikation rund um die Museumsforschung mehr Menschen zu erreichen und das Vertrauen in wissenschaftliche Arbeit zu fördern.

Viel Gefieder: So warten die Vogelpräparate des Museums auf ihren Umzug.
Viel Gefieder: So warten die Vogelpräparate des Museums auf ihren Umzug.

© Marc Jerusel

730.000 Besuche verzeichnete das Haus im Jahr 2022 – keine kleine Zahl. Wer nachmittags durch die Säle schlendert, merkt schnell, wie vielfältig das Publikum ist. Das hängt auch mit einer ungewöhnlichen Öffentlichkeitsarbeit zusammen.

Mit Partys und Insta für Forschung begeistern

Für eine Pressevorführung etwa hat das Museum eine ganze Delegation junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingeladen, die zusammen Fossilienfundstelle Bromacker im Thüringer Wald erkunden.

Das interdisziplinäre Team entwickelt und erprobt zugleich unterschiedliche Formate des Wissenstransfers: von klassischen Führungen an der Grabungsstelle über Instagram-Posts bis hin zu Virtual-Reality-Erlebnissen. Die VR-Brille katapultiert einen mitten in den Wald, man kann die Grabung miterleben, ohne vor Ort zu sein.

Im Mittelpunkt steht dabei nicht, wie sonst oft, ein fertiges Ergebnis, sondern der Prozess des Forschens: Wie funktioniert naturwissenschaftliche Forschung? Und wie werden Daten erhoben, verifiziert, auf welchen Wegen gelangt man zu Schlüssen?

So sieht der Entwurf des Architekturbüros gmp aus, das den Wettbewerb zur Neugestaltung des Museums gewann. Ob es am Ende so umgesetzt wird, ist noch offen.
So sieht der Entwurf des Architekturbüros gmp aus, das den Wettbewerb zur Neugestaltung des Museums gewann. Ob es am Ende so umgesetzt wird, ist noch offen.

© gmp architekten

Ein anderes Beispiel dafür, wie das Museum jenseits klassischer Ausstellungen Forschungserkenntnisse verbreitet, ist der in allgemeinverständlicher Sprache gehaltene Podcast „Beats & Bones“. In einer Folge unter der Überschrift „Female Choice: Dating nach Darwin“ dreht sich etwa alles um die Partnerwahl im Tierreich. Im Gespräch mit einem Experten und einer Expertin aus der Biologie erfährt Podcast-Host Lukas Klaschinsky, dass die Weibchen bei der Wahl der Sexualpartner meist sehr wählerisch sind und die Männchen einiges tun müssen, um sie von sich zu überzeugen.

Der Podcast-Titel „Beats & Bones“ beruht übrigens auf einer „House-Party“, die das Museum mal im Sauriersaal schmiss. Bis heute gibt es ähnliche Formate. Im September wird ein Podcast-Festival stattfinden, zu dem eine DJane Musik beisteuert. Die Partys sind laut Stefanie Krzyzniewski, die die Öffentlichkeitsarbeit im Haus verantwortet, ein starker Magnet, um neue Besucher:innen anzuziehen: „Wenn wir Partys feiern, öffnen wir uns für Zielgruppen, die sich nicht unbedingt per se für Naturwissenschaften interessieren. Und die Leute kommen wieder, auch wenn keine Party läuft.“

Unkonventionell sind oft auch die Herangehensweisen des Ausstellungsteams. Die evakuierten Tiere aus der Vogelsammlung wurden mittlerweile in Kisten mit Glasfronten verpackt und sollen so die Stars einer neuen Schau werden, die voraussichtlich Ende 2023 eröffnet. Bevor es aber mit der inhaltlichen Konzeption losging, wurden Museumsbesucher, Studierende, Podcaster*innen oder Hobbyornithologen gefragt, was sie über die Objekte wissen wollen oder welche Erinnerungen sie hervorrufen. Der Wunsch vieler Teilnehmer:innen: Vogelstimmen! Die werden nun in der neuen Ausstellung zu hören sein – und stammen aus dem museumseigenen Tierstimmenarchiv.

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