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SKarina Canellakis, die Erste Gastdirigentin des RSB, verschiebt die Tongebirge in Beethovens Neunter ins Monumentale.

© Mathias Bothor

Silvester im Konzerthaus: Paukenwirbel und Spikes unter den Füßen

Karina Canellakis, Martin Grubinger, Christoph Eschenbach: Im Konzerthaus Berlin wird mit einem Doppelprogramm ins Beethoven-Jahr reingefeiert.

So haben wir es denn losgetreten, das Feierjahr zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven, dem schon in sieben Jahren der 200. Todestag folgt. Das Rundfunk-Sinfonieorchester hat sich von solchen immer auch fragwürdigen Jubiläen längst unabhängig gemacht, es spielt einfach immer an Silvester die Neunte. Etwas ist dann dieses Jahr aber doch anders im Konzerthaus: Am Pult steht nachmittags nicht der Chef, also Vladimir Jurowski, sondern die neue Erste Gastdirigentin Karina Canellakis. Sie sorgt mit markanten, weitausgreifenden Bewegungen dafür, dass sich die Tongebirge im ersten Satz von Beethovens letzter Symphonie schnell ins Monumentale aufbauen. Ein etwas holpriger, dennoch kerniger Zugriff, der das klassische Beethoven-Bild vom mit gesenkter Stirn den Schicksalsstürmen trotzenden Titanen nicht infrage stellt, aber trotzdem mitreißt.

Canellakis macht Druck und Tempo, stellt dabei elegante, wie von Ferne heranrollende Dynamikbögen in den Raum, vor allem auch im zweiten Satz. Wäre dies eine Schneewanderung, hätte die Amerikanerin Spikes umgeschnallt. Im dritten Satz entsteht doch Raum zum Träumen, begleitet vom Grummeln oder den expliziten Schlägen der Pauke, der die Neunte so viel Charakter verdankt.

Zu Silvester auf dem Programm steht das Werk aber natürlich einzig und allein wegen des utopischen Gehalts des letzten Satzes, wegen Schillers hochauffahrend-jubilierendem Optimismus in der „Ode an die Freude“ und den hymnischen Tönen, die Beethoven dafür gefunden hat. Mit massigem Bass markiert Liang Li den Eintritt der Stimme ins symphonische Gewebe. Das Solistenquartett, der klangschön singende Rundfunkchor (Benjamin Goodson) und das ebenfalls wie solistisch einzelne Stimmen übernehmende Orchester runden sich zu einer musikalischen Zuversicht, der man immer wieder aufs Neue Glauben schenken möchte – auch wenn die Weltlage dazu keinen Anlass gibt und die „Brüste der Natur“ entzündet sind, weil die Menschen viel zu stark daran saugen. Udo Badelt

Keine Schwellenangst vor Zeitgenössischem

Was er anfasst, wird Rhythmus: Martin Grubinger verschmilzt mit seinen wirbelnden Schlägeln, Vibraphontasten, Trommeln und blitzenden Gongs und Zimbeln buchstäblich zu einer Einheit schwindelerregender Läufe, explosiver Staccati, irisierender Klangflächen. Im Schlagzeugkonzert „The Tears of Nature“ von Tan Dun wirkt das besonders apart im Verein mit den Schlagzeugern des Konzerthausorchesters – wenn Paukenglissandi einander ablösen oder einsame Tontropfen im Raum zirkulieren.

Als Virtuose der Extraklasse und Showtalent dazu zeigt sich Grubinger auch in Avner Dormans Schlagzeugkonzert „Frozen in Time“ mit seinen vielfältigen Klangschichtungen und in Astor Piazollas rasantem, vom Publikum bejubelten „Libertango“. Natürlich ziert ein solcher Star jedes Silvesterkonzert, selbst wenn die von ihm in Auftrag gegebenen Werke auf die Dauer ein wenig zum bloßen Katalog seiner verblüffenden Fähigkeiten geraten.

Grubingers Lockerheit und Zugewandtheit passen zudem bestens zu Christoph Eschenbachs prächtiger Laune an diesem Silvesterabend: Der Chef des Konzerthausorchesters macht auch mit dem Mikrofon eine gute Figur, verscheucht mit witzigen Ansagen jegliche Schwellenangst vor Zeitgenössischem.

Im „Frühlingsstimmenwalzer“ von Johann Strauß unterstützt der Dirigent den schwierigen Part der Sopranistin Marisol Montalvo mit sensiblen Tempoverzögerungen und treibendem Schwung, gibt ihrem Nachtigallengesang der extremen Lagen auch in „Le silence des Sirènes“ von Unsuk Chin das farbenreiche Fundament. Und doch sind es in diesem unkonventionellen Silvesterprogramm die traditionelleren Werke, die Laune machen und das Herz erwärmen.

Jean-Philippe Rameaus „Ouvertüre, Entracte und Tambourin“ aus der musikalischen Tragödie „Dardanus“ kündet mit hüpfenden Rhythmen von Kastagnetten und Tambourin, mit gewaltigen Paukenwirbeln schon die kommenden Schlagzeug-Sensationen an. Rasanten Dreiklangs-Repetitionen im Stile Vivaldis folgt nahtlos der „Tanz der Komödianten“ aus „Die verkaufte Braut“ von Bedbich Smetana, unerhört lebensfroh und doch immer wieder mit kleinen melancholischen Eintrübungen versehen. Zur Heiterkeit gehört halt auch ein wenig das Leid. Isabel Herzfeld

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