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Annie Ernaux am vergangenen Donnerstag in Paris nach der Literaturnobelpreisbekanntgabe

© dpa

Sympathie für BDS: Annie Ernaux und ihre israelfeindlichen Bekundungen

Im Zwielicht: Die diesjährige Literaturnobelpreisträgern hat offene Briefe unterzeichnet, in denen Israel als „Apartheidsstaat“ bezeichnet wird.

Eine „engagierte Rede“ hat Annie Ernaux in französischen Medien versprochen, wenn sie im Dezember in Stockholm den ihr am vergangenen Donnerstag zugesprochenen Literaturnobelpreis entgegennimmt, eine Nobel Lecture also, die es womöglich in sich hat. Ob sie dann auch darauf eingeht, wie sie es mit Israel hält, mit ihrer Sympathie für die in Teilen antisemitische Bewegung BDS, abgekürzt für „Boycott, Divest and Sanction“?

Kaum war verkündet, dass Annie Ernaux die weltweit wichtigste Literaturauszeichnung erhält, berichtete die israelische Zeitung „Jerusalem Post“, dass Ernaux 2019 zusammen mit über 100 weiteren französischen Künstlern und Künstlerinnen einen BDS-Boykottaufruf gegen den Eurovision Song Contest in Tel Aviv unterzeichnet hatte; auch das französische Fernsehen wurde darin aufgefordert, eine Übertragung abzulehnen.

Ernaux ist Feministin und Linke

Schon ein Jahr zuvor war von ihr ein ähnlicher offener Brief unterzeichnet worden, in dem eine gemeinsame israelischfranzösische Kultursaison kritisiert wurde und boykottiert werden sollte. Diese diene nur dem „Weißwaschen“ des israelischen Images, soll es in dem Brief geheißen haben: „Es ist eine moralische Verpflichtung für jeden Menschen mit Gewissen, die Normalisierung der Beziehung zum Staat Israel abzulehnen“.

Die israelische Zeitung nannte noch weitere Beispiele für Ernaux’ israelfeindliche Einstellung, auch eine Formulierung wie Israel sei ein „Apartheidsstaat“ habe sie mehrmals mitunterzeichnet.

Nun ist die politische Gemengelage im Fall von Ernaux eine komplizierte. Sie ist eine ausgewiesene Feministin, das lässt sich auch ihren Büchern entnehmen; gerade hat sie ihre Sympathien für die von Frauen ausgehenden Proteste im Iran geäußert; und sie ist eine linke Schriftstellerin, wovon ebenfalls der Stoff ihrer Bücher kündet, etwa „Die Jahre“, „Eine Frau“ oder „Der Platz“, das allerdings nie explizit, sondern natürlich wegen ihrer Betrachtungen der sozialen Klassen, wegen ihres mitunter soziologischen Zugriffs.

Doch sie hat sich wie mit ihren israelfeindlichen Bekundungen auch in dieser Hinsicht hie und da schon öffentlich vergaloppiert, so mit ihrer Unterstützung, der politisch zum Teil undurchsichtigen „Gelbwesten“-Bewegung (ähnlich wie ihr Bewunderer und schriftstellerischer Adept Édouard Louis), „die Gelbwesten, das sind wir“; so mit ihren Sympathiebekundungen für den dubiosen linken Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon.

Parallelen zu Peter Handke?

Doch wie mit diesen gerade bezüglich Israel beklagenswerten politischen Einstellungen von Annie Ernaux nun umgehen, gerade vor dem Hintergrund ihres großartigen, ja zu Recht mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Werks? Wird dieses beschädigt, weil sie mit dem BDS sympathisiert? Soll man ihre Bücher deshalb nicht lesen? Wohl kaum. Vermutlich wird man sie noch einmal mit anderen Augen lesen.

Natürlich kommt im Hinblick auf die Literaturnobelpreisverkündung in Stockholm sofort Peter Handke in den Sinn, der Sturm der Entrüstung, den es 2019 gab wegen dessen zweifelhafter Nähe zum serbischen Staat, dessen Kriegstreibern und seinen Präsidenten. Erst vor einem Jahr nahm Handke aus den Händen der damaligen Präsidentin der bosnischen Republika Srpska, Željka Cvijanovik, einen Orden „für seine Beiträge zur Unterstützung der serbischen Interessen und kulturellen Entwicklung Serbiens“ entgegen.

Doch hatte sich Handke mit vielen Texten in Zeitungen, aus denen dann auch Bücher wurden, für die serbische Sache eingesetzt, die Jugoslawienbücher gehören zu seinem von der Schwedischen Akademie ausgezeichneten Werk. Bei Annie Ernaux ist das nicht so, da spielen ihre aktuellen politischen Einlassungen keine Rolle. Trotzdem: Es wird in Stockholm wohl wie bei Handke Proteste geben – und die Nobel Lecture eine gewisse Brisanz haben.

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