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Thomas Demand bei Sprüth Magers: Die Modelle der anderen

Eine Ausstellung in der Galerie Sprüth Magers und ein Werkverzeichnis zeigen Thomas Demands Interesse für Architektur.

Da bauscht ein Vorhang in der Galerie Sprüth Magers, so wie 2009 in der Neuen Nationalgalerie, als Thomas Demand hier seine große Einzelausstellung hatte. „Archivmaterial“ ist nun in der Galerie zu sehen – und schon ein zweiter Blick macht evident, dass zehn Jahre später doch einiges anders ist. Demands Motive lassen die Präzision vermissen, mit der der 1964 geborene Künstler sonst seine Modelle nach der Realität – von der Rolltreppe über Interieurs bis hin zu ganzen urbanen Szenen – aus Papier nachbaut, um sie anschließend abzufotografieren. Die Bilder hier zeigen dagegen Objekte mit sichtbaren Schnitt- und Klebestellen. Manche der architektonischen Formen aus grauem oder farbigem Karton wirken schon mehrere Jahrzehnte alt. Und der Vorhang? Ist auch nicht echt wie damals im Museum. Sondern eine Tapete, auf der als Muster geschickt arrangierte Papprollen einen üppigen Stoff imaginieren.

Wirklichkeit und ihre Interpretation durch die Medien sowie die individuelle Erinnerung: Das ist, stark vereinfacht, Demands thematisches Dreieck, in dem seine Kunst entsteht. Jedes Modell, das das Atelier des Künstlers als Fotografie verlässt, wirkt täuschend echt und distanziert sich zugleich von seiner Vorlage: Die Realität sieht in Papier cleaner, glatter, mit einem Wort: unwirklicher aus.

Der kreative Gedanke wird sichtbar

Die neuen Arbeiten bei Sprüth Magers täuschen diese Parallelität erst gar nicht vor. „Archivmaterial“, das sind Modelle aus der Hand des österreichischen Architekten Hans Hollein, die Demand in den über Wien verstreuten Depots des 2014 Verstorbenen entdeckt hat. Entwürfe für Messestände oder Ladengeschäfte, von Hollein in den sechziger und siebziger Jahre für Unternehmen ausgedacht. Und das Massenmodell eines gebauten Hauses.

Acht große Aufnahmen füllen die beiden Räume der Galerie. Trotz – oder wegen – ihrer Unperfektheit durchdringen sie den Ort mit jener Energie, die Demand den „Aggregatzustand der Ideen“ nennt: Der kreative Gedanke wird sichtbar, formuliert erste Möglichkeiten, ist aber längst noch nicht manifest. Der Künstler unterstreicht diese Offenheit durch die Perspektive und Lichtführung für seine Kamera. „Rainbow“ (2018), das Design für ein Wiener Kerzengeschäft von 1965, wird zu einer rätselhaften Bühne für die bevorzugte Farb- und Formsprache dieser Zeit. Bei „Cavern I“ (2018) fällt das Licht von oben und lässt den eingeschnittenen Karton wie Chrom leuchten.

Liebe zum Papier

Für Demand ist es nach dem Studium der futuristischen Entwürfe von John Lautner und Recherchen im Büro der Architekten Sanaa das dritte Projekt, in dem er die Wirklichkeit nicht bloß mittels fremder Modelle in sein Werk fließen lässt. Er baut sie auch nicht selbst nach, sondern fängt den eigenen Blick darauf mit der Kamera ein.

Was nach einem autonomen Strang im Werk aussieht, fügt sich im jüngst erschienenen Werkverzeichnis allerdings perfekt in den Kontext seiner Arbeit. „Thomas Demand: The Complete Papers“, zeigt die Entwicklung seit 1994 und macht deutlich, wie die Beschäftigung mit Modellen aus anderer Hand zu neuen Fragestellungen führt. Und es wäre ihm nicht angemessen, wenn sich neben Jeff Wall, Alexander Kluge, Francesco Bonami oder Jeffrey Eugenides nicht auch eine ungeheure Liebe zum Papier in jenem Buch artikulierte, das in jedem Kapitel sichtbar wird.

Galerie Sprüth Magers, Oranienburger Str. 18; bis 19.1., Di–Sa 11–18 Uhr / „Thomas Demand: The Complete Papers“, 504 S., Mack Books, ca. 80 Euro

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