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Chansonnier Tim Fischer, Jahrgang 1973, stand bereits mit 15 Jahren auf der Bühne.

© Tine Acke

Tim Fischer in der Bar jeder Vernunft: Komm, glitzernder Nachtvogel

Von Friedrich Hollaender bis Thomas Pigor. Chansonnier Tim Fischer begibt sich im neuen Programm „Glücklich“ auf eine Liederreise von den 20er-Jahren bis heute.

Liederabende von Tim Fischer sind immer Fantreffen. Der Mann hat eine Gemeinde, die ihm Blumen mitbringt, ihm die Hände zum Gruß darbietet. Wie sich das für eine nahbare Diva des Chansons gehört, die gern mit hoch erhobenen Armen als Heilsbringer am Bühnenrand steht, das Kabelmikro noch selbst trägt; und sich nach dem Applaus mit Grandezza sehr tief verbeugt.

So sieht eine klassische Unterhaltungsform aus, die trotz ihrer Zeitlosigkeit auch was altmodisch Parfümiertes hat. Unvorstellbar, dass Tim Fischer, dessen Pianist Thomas Dörschel selbstverständlich Frack und Fliege trägt, sein Publikum mit geschmacklosen Moderationen irritiert. Kleine Frivolitäten sind stets sorgsam dosiert. Genauso wie die selbstironischen Posen, wie der exaltiert an die Stirn gelegte Handrücken, mit denen Tim Fischer seine Divenaura immer mal wieder konterkariert.

„Glücklich“ ist der Titel des Programms, das er am Dienstagabend in der Bar jeder Vernunft uraufführt. Wenigstens einer, denkt man sich da und sieht der Beschwörung eines vergessenen Gefühls freudig entgegen. Glücklichsein hat bei der derzeitigen globalen Stimmungslage ja eher Seltenheitswert.

Chansonnier Tim Fischer, Jahrgang 1973, stand bereits mit 15 Jahren auf der Bühne.
Chansonnier Tim Fischer, Jahrgang 1973, stand bereits mit 15 Jahren auf der Bühne.

© Tine Acke

Nach einem Klavierintro erscheint der Chansonnier als Glitzerprinzessin in schwarzem Pailletten-Anzug mit funkelnden Ohrringen und ebensolchem Augenmakeup. Prompt brandet Jubel auf. „Mein Kompliment“, geschrieben von der französischen Chansonnière Barbara, bildet den musikalischen Auftakt. „Ich sag’ für diesen Tag: Merci, mein Kompliment“, singt Tim Fischer. Schon macht sich wohlige Dankbarkeit im Publikum breit.

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Tim Fischer ist ein Schauspieler-Sänger, der aus Liedern darstellerische Nummern macht. Aber ein Conférencier ist er nicht. Nach der Ankündigung einer Reise durch verschiedene Liedtraditionen und Vorstellungen von Glück beschränkt er sich darauf, Titel und Komponisten zu nennen und artige Dankesbezeugungen wie „Ich bin überwältigt von Ihnen“ einzustreuen.

„Hitler“ in Höchstform

Von den 60er-Jahren geht es mit der kabarettistisch überzeichnet dargebotenen Vertonung von Kurt Tucholskys Gedicht „Das Ideal“ und dem „Hobellied“ zurück in die 20er- und 30er-Jahre. Und dann zum ulkigen „Schweinelied“ von Georgette Dee und Terry Truck, bevor Fischer mit dem tollen „Samoa“-Song bei seinem Hausgott und verstorbenen Freund Georg Kreisler ankommt. Zum Höhepunkt der langsam poppiger anmutenden ersten Hälfte wird aber ein anderer Klassiker des modernen Wiener Lieds: Ludwig Hirschs Todessehnsuchtsballade „Komm, großer schwarzer Vogel“, die Tim Fischer im schwarzen Zottelmantel mit zart verwehtem Flüstergesang darbietet. Im Tod endlich glücklich sein, das ist eine sehr österreichische Fantasie.

Nach der Pause sollte sich das Glücksrad dann weiterdrehen. Doch Tim Fischer, der – grobe Enttäuschung – ohne Kostümwechsel wiederkehrt, steigt mit Friedrich Hollaenders Gassenhauer „Stroganoff“ und der Tucholsky-Vertonung „Lied von der Gleichgültigkeit“ ein. Tja, und das Glück? „Macht jetzt mal Pause“, spricht der Sänger. Aber nicht nur für zwei, drei Lieder, sondern bis zum umjubelten Showende um halb elf: keine thematische Spur mehr vom Glück. Das ist jetzt aber Etikettenschwindel, Herr Fischer!

Was nichts daran ändert, dass die besten Nummern in der glücklosen Hälfte liegen. Da landet Tim Fischer, nachdem er die altvorderen Komponisten und Texter zu spät endlich hinter sich gelassen hat, nämlich bei den besten zeitgenössischen Liederschreibern dieses Genres: Sebastian Krämer und Thomas Pigor. Mit Pigors satirischen Songs „Der fette Elvis“ und „Hitler“ läuft Tim Fischer, was gesanglichen und darstellerischen Ausdrucksreichtum angeht, zu Höchstform auf. Das zu sehen und zu hören ist Glück, obwohl nichts davon in den Songs steht.

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