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Irena Karpa im Space Meduza in Berlin.

© Yuriy Gurzhy

Ukrainisches Kriegstagebuch (117): Eine Indie-Legende zu Gast in Berlin

Der ukrainische Autor, DJ und Musiker Yuriy Gurzhy lebt seit 1995 in Berlin. Hier schreibt er über den Krieg in der Ukraine.

Eine Kolumne von Yuriy Gurzhy

7./8.3.2023
Skunk Anansie und Elastica rockten England, in den USA gab es L7 und Hole, in Deutschland Chicks On Speed und Die Braut haut ins Auge – und in der Ukraine hatten wir Schwesterchen Vika und Irena Karpa.

In den frühen Neunzigern war Vika eine der stärksten und wichtigsten Stimmen der jungen ukrainischen Indie-Szene. 1989 gewann sie mit ihrem sozialkritischen Postpunk den ersten Platz beim Chervona Ruta Festival. Frech, sarkastisch, manchmal wütend – Schwesterchen Vika begeisterte und schockierte das ukrainische Publikum wie kaum ein anderer Act in dieser Zeit. Ein paar Jahre und drei Alben später ist sie nach einer Tour in den USA geblieben und hörte auf, neue Musik zu veröffentlichen.

Mir scheint, dass Irena Karpa in den späten Neunzigern da angefangen hat, wo Vika aufhörte. Ein wahres Multitalent, hat sie bei der Band Faktychno Sami (später in Qarpa umbenannt) gesungen und Bass gespielt, parallel dazu Romane geschrieben, im Fernsehen moderiert und für das Jugendmagazin „Moloko“ eine Sexkolumne geschrieben. Meine ukrainischen Freundinnen betonen bis heute, wie wichtig diese Kolumnen für sie waren – zu jener Zeit, als über das Thema kaum gesprochen wurde, und noch dazu auf Ukrainisch.

Nach der Unabhängigkeitserklärung blühte die Musikszene in der Ukraine auf, es gab immer mehr neue tolle Bands, doch Qarpa blieb ohne Konkurrenz. In ukrainische Rock-Enzylopädien wird sie als Autorin und Interpretin der Songs wie „Du machst mich nicht an”, „Weiber sind coole Kerle“ oder „Mein lieber Ex, danke für den Sex“ eingehen. Heute lebt sie in Paris, wo sie noch vor wenigen Jahren als Kulturattaché der Ukrainischen Botschaft gearbeitet hat. Sie zieht zwei Töchter auf, schreibt weiter und bringt gelegentlich neue Musik raus.

Mit Irena Karpa vergangenes Jahr „Ukrainian Songs Of Love And Hate“ aufnehmen zu dürfen, war mir eine große Ehre. Aber auch wenn ich auf das Endergebnis stolz bin, ist mir bewusst: unter anderen Umständen hätte es dieses Album nicht gegeben. Ich hätte mir gewünscht, mit allen großartigen Menschen, die mit mir zusammen diese Lieder geschrieben haben, lieber in friedlichen Zeiten arbeiten zu können.

2022 hatten wir nur eine Gelegenheit gehabt, unser Album gemeinsam live zu performen, und zwar im Oktober auf der Bühne des Cheltenham Literature Festivals in Großbrittanien. Aber heute ist Irena in Berlin – sie ist eingeladen, am 8. März bei der Eröffnung des Radar Ost Festivals im Deutschen Theater aufzutreten.

Und Oksana Shchur, die Produzentin von „Ukrainian Songs Of Love And Hate“, hat für sie eine Lesung im Space Meduza, der ukrainischsten Bar Berlins organisiert. Ich komme gern mit – als Fan, aber auch als Musiker – wir haben ausgemacht, zum Schluss ein paar von unseren Songs zu singen. Als Irena die Berliner Veranstaltung auf Instagram angekündigt hat, war sie binnen weniger Stunden ausverkauft.

Um 19 Uhr ist der Laden rappelvoll und Karpa betritt die Bühne, um für die nächste Stunde ganz allein, nur mit einem Mikro bewaffnet, die Aufmerksamkeit des Publikums voll und ganz auf sich zu ziehen. Es ist viel mehr als nur eine Lesung, es erinnert an Stand Up-Comedy, auch wenn bei weitem nicht alles, was sie erzählt, lustig ist – und manchmal ist es sogar das Gegenteil. „Eine Freundin meinte neulich zu mir”, sagt Irena am Anfang, „Wie praktisch, Du musst nicht mehr in die Ukraine, Dein ganzes Publikum ist ja inzwischen in Berlin”. Die Zuschauer*innen lächeln, aber allen Anwesenden ist klar, warum es so ist, und sich darüber zu freuen ist schwer.

Leider kann ich Karpas Auftritt beim Radar Ost nicht miterleben, da ich verreisen muss, aber sie schickt mir den Text, den sie vorlesen wird – ein kollektives Bild der ukrainischen Frauen, ein starkes Statement zum 8. März, ein Gedicht, was „Kämpferin” heißt.

„Sie war Malerin, beim Anblick von Blut wurde sie ohnmächtig. Wer hätte gedacht, dass sie Sanitäterin werden würde? Der allererste Tod, den sie miterlebt, ist der Tod eines sehr jungen Soldaten. 24. Februar 22. Als sie ihn in ihren Krankenwagen legen, ist er schon still. Er sieht so gut aus, denkt sie. ,Meine Liebe’, ist der Name eines Anrufers, der verzweifelt versucht, ihn zu erreichen. Ist es eine Freundin? Eine Ehefrau? „Antworte nicht!“, sagt man ,Solche Dinge anzukündigen ist nicht Deine Aufgabe’. Sie weint und schämt sich dafür. ,Bald gewöhnst Du Dich daran’, sagen sie. Denn du bist eine Kämpferin.”

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