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Andy Warhol verfremdete zahlreiche Porträts von Prominenten, zu diesen grafischen Serien in unterschiedlicher Farbgebung gehört auch sein „Goethe“ von 1982.

© Enrico Fontolan

Versteck des Dichters: Die Casa di Goethe in Rom ordnet sich neu

Im späten 18. Jahrhundert wohnte Johann Wolfgang von Goethe in Rom in einer Männer-WG. Das Museum am selben Ort feiert 25-jähriges Jubiläum und modernisiert seine Ausstellung.

Im Hotel kennt man die Casa di Goethe nicht. Wozu auch, das Leben im Zentrum von Rom gleicht ohnehin einem Daueraufenthalt im Museum. Und die Via del Corso ist die Prachtstraße des ewigen Konsums – eine, wenn auch kunsthistorisch einmalig schöne Einkaufszone, in der sich alles auf die Schaufenster konzentriert. Die beiden roten Stofffahnen, die im ersten Stock unweit der Piazza de Popolo im Sommerwind flattern, fallen da kaum auf.

Eine frühe Form von Airbnb

Dabei steckt auch diese Etage nicht bloß voller Geschichte(n). Sie ist, mit den Worten von Gregor H. Lersch, ein frühes Beispiel für die Untervermietung von Wohnraum an Reiselustige. Eine Urform von Airbnb, das heute das gesamte Viertel prägt. In der Hausnummer 18 lebten damals mehrere Künstler: eine Art Wohngemeinschaft um den Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, die sich hier weiterbildeten. Das römische Erbe, pittoreske Ruinen und die Gegenwart der Antike wirkten stilbildend auf die deutsche Malerei des 18. Jahrhunderts. Der Klassizismus zog ein, löste das verspielte Rokoko ab. Lersch, der vor einem Jahr von Berlin nach Rom gezogen ist, um die Leitung der Casa di Goethe zu übernehmen, will dieses Kapitel sichtbarer und spürbarer machen. Sein Trumpf dabei heißt Johann Wolfgang von Goethe.

Goethe reiste heimlich ab

Auch ihn zog es bekannterweise in die ewige Stadt. 1786 reiste der Geheimrat und Berater des Herzogs von Weimar, erschöpft von seiner Tätigkeit im Staatsdienst und in einer kreativen Krise, inkognito nach Rom. Der „Werther“ von 1774 hatte ihn europaweit bekannt gemacht, allerdings nicht nur positiv. Als Johann Philipp Möller kam Goethe im Herbst des Jahres an – und gleich bei Tischbein unter, dem er zuvor ein Stipendium für dessen erneuten Aufenthalt in Rom besorgt hatte.

Zwei Jahren dauerte die „Italienreise“. Als wuchtigstes Dokument seiner freundschaftlichen Beziehung zu Tischbein hängt in einem Raum der Casa di Goethe das Gemälde „Goethe in der römischen Campagna“. Als Kopie. Das Original befindet sich im Städel Museum Frankfurt, doch hier, in der Via del Corso, wurde es 1787 als Porträt des zwischen antiken Fragmenten ruhenden Dichters gemalt.

Das Haus wird transformiert

Tischbein hat es nicht mit ihm finalisieren können, Goethe reiste vor der Vollendung ab. Das mag die verzogenen Proportionen des monumentalen Bildes erklären. Vielleicht war Tischbein aber auch kein guter Ganzkörpermaler, mutmaßt Lersch während des Rundgangs durch die Dauerausstellung, in der sich erst kürzlich alles und zugleich nichts geändert hat. Sechs Jahre lang, bis zu seinem Antritt in Rom, war er Leiter des Bereichs Ausstellungen und Kurator am Jüdischen Museum. Lersch weiß, wie man Geschichte anschaulich macht. Sein Projekt „intervenzioni‘ knüpft an die zeitgemäßen Wege der Rezeption.

Anlass sind das 25-jährige Jubiläum des einzigen deutschen Museums im Ausland; der Übergang des Hauses von der Literaturexpertin Maria Gazzetti an Lersch, dessen Konzept alle Sinne gleichermaßen ansprechen will. Schließlich eine nachhaltige Transformation plus Klärung der Frage, was einen trotz der ästhetischen Überfülle der römischen Metropole an einen stillen, anspruchsvollen Ort wie diesen locken soll. Das poppige Goethe-Porträt von Andy Warhol, das einen wie die Büchersammlung des Verlegers Richard W. Dorn als größte Bibliothek zu Goethes Werk in Italien im Haus erwartet, wird es allein nicht schaffen.

Die Ideen kommen aus Berlin

Lersch hat sich Unterstützung aus Berlin geholt. Studenten der Kunsthochschule Weißensee sind für die ersten konsequenten Eingriffe verantwortlich. Diverse Medienstationen in Pink bereichern die Etage um neue Aspekte wie ein Interview über die Historie des Hauses nach Goethes und Tischbeins Zeiten. Nun erfährt man zum Beispiel, dass sich hier während der deutschen Besatzung die jüdische Familie von Guido Zabban in einem Zwischengeschoss versteckt hielt und so überlebte.

Goethe auf Chinesisch

Die Internationalität im Berliner Studiengang Visuelle Kommunikation spiegelt sich in jenem Raum, der von der Casa di Goethe als Bibliothek genutzt wird. Auf dem Tisch, zwischen zimmerhohen Regalen voll antiquarischer Schätze, steht nun ein Handapparat mit Goethes Werken auf Englisch oder Chinesisch. Und auch Medienstationen wie seine überlieferten Reisebeschreibungen Süditaliens als „Kontaktzone nach Nordafrika“ oder die Vorstellung der Frauen, die den Dichter beeinflusst haben, Charlotte von Stein etwa, ergänzen die Präsentation um andere Perspektiven. Bislang war das hier – von der Wohnung für Stipendiat:innen einmal abgesehen – eine reine Männer-WG.

Vor allem aber haben die Studenten den Weg durch die Ausstellung neu konzipiert. Sie beginnt jetzt am früheren Ausgang und führt einmal entgegen die gewohnte Richtung. Eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Maßnahme: Über die Historie des Hauses gelangt man zu diversen Künstlern, die hier lebten, passiert die Bibliothek und gelangt, als ein Höhepunkt, in Goethes einstige Kammer. Originales Interieur gibt es nicht mehr, wohl aber eine seiner zahllosen Zeichnungen aus jener Zeit, die vergrößert an der Wand gebracht wurde und die Situation simuliert. Der Rundgang entlässt einen in die aktuelle Wechselausstellung „Walle! walle“, für die sich Künstler:innen aus Deutschland, Indien, dem Iran und Italien mit Goethes Eindrücken seiner „Italienischen Reise“ befasst haben.

Lersch hat viel vor

Für Gregor H. Lersch ist dies der Anfang. Ende des Jahres entscheidet sich, welche Ideen von „intervenzioni“ Bestand haben und wie sich die Casa di Goethe weiter behutsam modernisieren lässt. Ohne dass es seinen Charakter einbüßt. Als Folie einer Zeit erinnert es daran, wie sich die deutsche Sehnsucht nach dem „Land, wo die Zitronen blühn“, einst manifestierte. Darüber hinaus möchte Lersch das Museum „als kulturelle Brücke zwischen Italien und Deutschland dynamisch aufladen“. Der Nationalismus in Europa, kulturelle Aneignung, Transkulturalität oder Migration sollen künstlerisch in den Blick genommen und thematisiert werden. Unter den Augen Goethes natürlich, dem Weltbürger von internationalem Rang.

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