zum Hauptinhalt
 Igor Levit und Daniel Barenboim vor dem West-Eastern Divan Orchestra.

© AFP/ODD ANDERSEN

West-Eastern Divan Orchestra: Barenboim und Levit begeistern das Berliner Publikum

Igor Levit flirtete mit den Zuschauern und die zirpenden Grillen begleiteten das Hornsolo. Ein würdiger Abschluss der Sommertournee.

Die S9 zur Waldbühne fühlt sich an wie eine Sauna, aber die Konzertgänger:innen quetschen sich trotzdem tapfer bei 30 Grad gemeinsam in die S-Bahn. Die Profis unter ihnen sind mit eigenen Sitzkissen und Wasserflaschen ausgerüstet. Sie haben sich auf einen besonderen Abend vorbereitet: Die Sommertournee des West-Eastern Divan Orchestra markiert die erste Zusammenarbeit zwischen Igor Levit und Daniel Barenboim. Nun das gemeinsame Heimspiel in Berlin. Levit sprang für die 82-jährige Martha Argerich ein.

Levit war die richtige Wahl, nicht nur weil er „Beethoven-besessen“ ist, wie er im Dokumentationsfilm „No Fear“ sagt. Er ist auch ein Unterhaltungskünstler, weiß, wie man ein Publikum einnimmt, selbst wenn 20.000 Menschen vor ihm sitzen.

Levit flirtet

Während noch die beiden Themen des ersten Satzes des ersten Klavierkonzerts von Beethoven durch das Orchester gehen, tippt Levit schon stumm auf der Klaviertastatur mit, als könne er nicht erwarten, dass es endlich losgeht. Bereits die ersten Klaviertöne ziehen alle in ihren Bann. Levit flirtet mit der Kamera oder der ersten Bratsche, das weiß man nicht so genau, zwinkert und lacht. Mit weit ausgeholten Armgesten übergibt er Phrasen an das Orchester, an einhändigen Stellen zieht die eine Hand die unsichtbaren Marionettenfäden der anderen, spielt, obwohl sie Pause hat, in der Luft mit. Aus den drei verschiedenen Kadenzen, die Beethoven für das Konzert schrieb, wählte Levit die zweite.

Bei ihm hat jeder Ton eine Notwendigkeit, auch im wehmütigen Largo nimmt er sich die Zeit, die er braucht. Und das kann er auch, denn das Publikum hängt ihm an den Fingern. Mit dem Start ins Rondo wartet Levit nicht auf das Publikum, das bereits applaudiert, sondern legt direkt los. Besonders schön – groß auf den Bildschirmen rechts und links der Bühne übertragen – die Stellen, an denen die linke Hand abwechselnd ins untere und obere Register hüpft. Mit geschlossenen Augen und in die Tasten gegrabenen Fingern spielt Levit als Zugabe das Adagio cantabile aus der achten Klaviersonate von Beethoven.

Innige Umarmung zwischen Pianist und Dirigent. Es war das letzte Konzert der Sommertournee.

© Davids/Christina Kratsch

Der Sound? Naja. Optisch mag die Waldbühne einem antiken Amphitheater ähneln, aber der Klang transportiert sich nicht annähernd so gut bis in die oberen Sitze, weshalb mit Verstärkung gearbeitet wird. Die sei an verschiedenen Plätzen verschieden gut gewesen: Auf manchen Sitzen sei der Sound viel stärker von links als von rechts gekommen. Auf anderen Plätzen wiederum hat die Verstärkung den Musikgenuss fast gar nicht eingeschränkt.

Der Klang verhallt im Wald

Die Sonne senkt sich langsam über der Waldbühne, sie färbt das Orchester rot ein. Mit größerer Besetzung geht es in die zweite Hälfte, entsprechend schwieriger ist es demnach, Barenboims minimalistischem Dirigat zu folgen, oder die 2. Sinfonie von Johannes Brahms so kammermusikalisch anzulegen, wie das beim Beethoven möglich war. Aber die Musiker:innen machen das Beste daraus, allen voran die Blech- und Holzbläser:innen. Im Adagio wurde das leuchtende Hornsolo von den zirpenden Grillen und einem von der Musik inspirierten zwitschernden Vogel begleitet.

Ein bisschen schade: Piano-Stellen können durch Lautsprecher einfach nicht so gänsehauterzeugend fragil sein wie in einem geschlossenen Raum, die Violinen klingen ein wenig spitz und die Celli ein wenig heiser. Doch im letzten Satz kann das Orchester nochmal die Vorteile einer so großen Open-Air-Bühne nutzen: Wenn das Orchester nach gewaltigen sinfonischen Klängen absetzt und kurz verharrt, verhallt der Klang im Wald, bevor es wieder ansetzt und die Schlussklänge spielt.

Noch bevor der letzte Ton gespielt ist, bricht auch schon Applaus los. Passend zur Atmosphäre gibt es das Scherzo aus Mendelssohns Mittsommernachtstraum und den fünften Ungarischen Tanz von Brahms als Zugaben. Einige Handylichter gehen an, dann immer mehr, bis sich ein Sternenhimmel aus Taschenlampen ausbreitet, ein eindrucksvoller Anblick, der auch das Orchester sichtlich freut. Und sogar Barenboim lächelt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false