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Man hängt so herum. Das Bild „Glamour“ (180 x 260 cm) von Ashley Hans Scheirl. Die Wiener Künstler:in stellt aktuell in der Berliner Galerie Crone aus.

© Matthias Bildstein / Wien

Die Kunst im Lockdown: Wie Berlins Galeristen die Pandemie erlebten – und was sie sich wünschen

Keine Kunstmessen, kaum Ausstellungsmöglichkeiten: Corona hat die Berliner Kunstszene durcheinander gewirbelt. Doch es gibt positive Entwicklungen. Acht Galeristen erzählen.

Hinter den Berliner Galeristen liegt ein turbulentes und gleichzeitig viel zu ruhiges Jahr. Ohne Kunstmessen, wo sie auf internationale Sammler:innen treffen, und zeitweise auch ohne Publikum. Viele haben einfach weitergemacht und ihr Ausstellungsprogramm für 2020 realisiert, obwohl es nur wenige Besucher sehen konnten. Wir haben in acht Galerien nachgefragt:

1. Jochen Meyer (Galerie Meyer Riegger)

Wie schauen Sie auf das vergangene Jahr?
Die Situation war besonders für international arbeitende Galerien schwierig. Der Wegfall von Kunstmessen, die Schließungen von Galerien und Museen, der nicht mehr stattfindende Austausch waren schon eine große Belastung für alle Beteiligten des Kunstbetriebs. Oftmals schwieriger als für die Galerien war das vergangene Jahr aber sicher für die Künstler:innen, die von den Absagen der Ausstellungen aus verschiedenen Gründen am stärksten betroffen waren.

Gibt es etwas Positives, das Sie aus dem Lockdown mitnehmen?
Ein Vorteil der Krise ist der verstärkte Austausch. Die neuen Gesprächsforen mit den Kolleg:innen und verschiedene gemeinsame Initiativen von Galerien, die nicht nur in Berlin, sondern weltweit einen Geist der Kollaboration spürbar werden lassen, sind positive Erfahrungen des Lockdowns. Das Innehalten und die damit einhergehende Reflexion über Galerietätigkeit war sicherlich eine der Chancen der letzten Monate. Nachhaltigkeit und Verlangsamung auf allen Ebenen unserer Galeriearbeit ist eines unserer zentralen Vorhaben für die Zukunft.

Worauf freuen Sie sich in naher Zukunft?
Auf zahlreiche Ausstellung in geöffneten Galerien und Museen, auf die neue Spielzeit an der Volksbühne unter der Intendanz von René Pollesch und auf einen Abend mit Freunden in einem unserer Berliner Lieblingsrestaurants.

2. Eva Maria Ostendorf (Galerie Hjellegjerde)

Wie schauen Sie auf das vergangene Jahr?
Wir sind dankbar, dass wir trotz der für alle belastenden Situation in den letzten Monaten sowohl in Berlin als auch in London und Nevlunghavn deutlich wachsen und unsere Künstler:innen aus aller Welt weiter voll unterstützen konnten. Gleichzeitig haben wir die Gelegenheit genutzt, das Programm und unsere digitalen Angebote zu optimieren.

Gibt es etwas Positives, das Sie aus dem Lockdown mitnehmen?
Die zwangsläufige Entschleunigung in der Kunstwelt hat teils dazu geführt, dass sich Sammler:innen, aber auch Institutionen mehr Zeit für einen – zumeist natürlich digitalen – Austausch mit uns genommen haben. So haben wir viele unserer Kontakte, national wie international, intensiviert.

Worauf freuen Sie sich in naher Zukunft?
Wir freuen uns besonders auf die am 7. August stattfindende Eröffnung unserer neuen jährlichen Sommergalerie im Schloss Görne außerhalb Berlins. Gemeinsam werden wir die Kunst, das Leben und eine fantastische Gruppenausstellung mit Gallery Artists & Friends feiern!

3. Markus Peichl (Galerie Crone)

Wie schauen Sie auf das vergangene Jahr?
Wie auf den Moment, in dem man im Dschungel einem schwarzen Panther begegnet und sich auf die beruhigende, beschwichtigende Ranger-Weisheit verlässt, dass er einen nicht angreifen, sondern weglaufen wird. Aber er läuft nicht weg, er springt auf dich zu, die Zähne gefletscht und deinen Hals im Visier der funkelnden gelben Augen.

Gibt es etwas Positives, das Sie aus dem Lockdown mitnehmen?
Mein Leben. Ohne Lockdown wäre die Intensivstation überfüllt gewesen, in die ich vor einem Jahr als Corona-Patient eingeliefert wurde.

Worauf freuen Sie sich in naher Zukunft?
Dass es weitergeht. Dass ein komplettes, pralles Programm mit 14 wunderbaren Ausstellungen vor mir liegt, die wir fürs ganze Jahr fixiert haben und durchziehen, egal ob gerade ein harter oder weicher, klarer oder wirrer, schlauer oder dummer, konsequenter oder inkonsequenter Lockdown gilt. Wenn wegen der halbgaren Wischi-Waschi-Chaos-Maßnahmen die Infektions- und Todeszahlen weiter hoch bleiben oder gar steigen, werden wir die Eröffnungen als Online-Events durchführen, wie diese Woche mit einem Live-Stream-Talk zwischen der Autorin Deborah Feldman und unserem Künstler Emmanuel Bornstein oder der überbordenden, raumgreifenden Installation von Ashley Hans Scheirl im Rahmen des Gallery Weekend, die online genau so gut funktioniert wie vor Ort.

4. Tanja Wagner (Galerie Tanja Wagner)

Wie schauen Sie auf das vergangene Jahr?
Ein turbulentes und wildes Jahr – ich habe viel gelernt!

Gibt es etwas Positives, das Sie aus dem Lockdown mitnehmen?
Wir haben einiges umgesetzt: Wir haben angefangen, Editionen via Online-Shop zu verkaufen, wir haben Viewing Rooms eingerichtet und kommunizieren unsere Preise transparent, wir machen Walk Throughs durch jede Ausstellung, geführt von den Künstler:innen oder von mir und begleiten jede Ausstellung auf unseren Online-Kanälen. Das kommt sehr gut an, und die Leute sind dankbar, trotz der Situation teilhaben zu können und somit sogar noch mehr Informationen und Einblick als vorher zu erhalten.

[Behalten Sie den Überblick über die Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Worauf freuen Sie sich in naher Zukunft?
Auf das Reisen, essen zu gehen, Menschen zu treffen und mich auszutauschen – und natürlich darauf, Kunst ohne Einschränkung zu sehen.

5. Ben und Hannes Kuckei (Galerie Kuckei + Kuckei)

Wie schauen Sie auf das vergangene Jahr?
Es war schon wie eine Vollbremsung, aber sehr schnell haben wir gespürt, dass diese Pandemie auch eine Chance sein kann. Nach fast 30 Jahren regelmäßiger Ausstellung- und Messetätigkeit gab es plötzlich Zeit und Raum, die eigene Tätigkeit und das Umfeld, grundsätzlich zu reflektieren.

Der Wegfall der Messen und die damit verbundene Einsparung von Zeit, Energie und finanziellen Ressourcen hat uns deutlich mehr Kapazitäten für einen intensiveren Austausch mit Künstlern, Kollegen, Kuratoren und vor allem auch unseren Sammlern gebracht. Auch wirtschaftlich hat uns das vergangene Jahr positiv überrascht. Trotz eines Umsatzrückgangs war das Ergebnis dank deutlich geringere Kosten nicht sehr viel anders als in den Vorjahren. Gerade in der zweiten Jahreshälfte profitierten wir vor allem von Verkäufen an nationale und internationale Institutionen.

Gibt es etwas Positives, das Sie aus dem Lockdown mitnehmen?
Digitale Formate sind in unseren Augen kein Ersatz für das unmittelbare Erleben von Kunst. So hoffen wir, dass möglichst schnell der Besuch von Ausstellungen und anderen kulturellen Einrichtungen ohne Einschränkungen möglich ist.

Worauf freuen Sie sich in naher Zukunft?
Dank einer Kooperation seit März mit dem Collectors Room Hamburg haben wir viele wunderbare Begegnungen und Gespräche. Uns wurde unmissverständlich deutlich, dass es, nach Monaten der Entbehrung, Hunger nach Kunst und Kultur gibt. Der Motor für unsere Galeriearbeit bleibt weiter, die Arbeiten unserer Künstler:innen möglichst vielen Menschen zeigen und vermitteln zu können.

6. Judy Lybke (Galerie Eigen + Art)

Wie schauen Sie auf das vergangene Jahr?
Mit der Erfahrung der Pandemie beginnen wir jetzt, an der Zukunft der nächsten Jahre zu bauen.

Gibt es etwas Positives, das Sie aus dem Lockdown mitnehmen?
Das Team der Galerie, die Künstlerinnen und Künstler, die wir vertreten, die Sammlerinnen und Sammler, die uns begleiten, alle, die mit der Galerie verbunden sind, haben gezeigt, wie wichtig es ist, Kunst als Lebensinhalt zu behaupten.

Worauf freuen Sie sich in naher Zukunft?
Auf die Begegnungen mit Menschen!!! Die Galerien als Orte, wo man der Kunst direkt begegnet. Aber auch auf die mediale Behauptung von Kunst. Die digitalen Vermittlung wird weiter ausgebaut. Das ermöglicht eine große Präsenz der Künstlerinnen und Künstler und wird ein gleichbedeutendes Werkzeug, um Inhalte zu transportieren.

7. Alexander Levy (Galerie Alexander Levy)

Wie schauen Sie auf das vergangene Jahr?
Wenn ich zurückblicke, ist das Jahr fast nicht greifbar. Alle sonst fest eingeplanten Ereignisse wie Messen sind weggefallen, Ausstellungen wurden verschoben. Für uns war es dennoch ein interessantes Jahr. Wir haben die Online-Präsenz der Galerie durch unsere Videoplattform und Online Viewing Rooms ausgebaut und konnten viel intensiver mit unseren Sammler:innen in Kontakt treten. Wahnsinnig leid tut es mir für die Künstler:innen, die lange für ihre Ausstellungen gearbeitet haben, die leider teilweise bis gar nicht besucht werden konnten.

Gibt es etwas Positives, das Sie aus dem Lockdown mitnehmen?
Wir hatten mehr Zeit, uns zu strukturieren und künftige Projekte zu planen. Die Zusammenarbeit unter Galerist:innen hat sich verbessert, wir tauschen uns mehr aus und arbeiten gemeinsam an Ideen. Eine Whatsapp-Gruppe mit allen Berliner Galerien wäre hier zu nennen oder das gemeinsame Ausstellungsprojekt K60 sowie die Initiative Gallery Climate Coalition. Es war harte Arbeit für die Kolleg:innen, den Kunstsektor darauf aufmerksam zu machen, sich nachhaltiger zu verhalten. Auch wir werden uns künftig so gut wie möglich daran ausrichten.

Worauf freuen Sie sich in naher Zukunft?
Jetzt freuen wir uns sehr über die Ausstellung der israelischen Künstlerin Ella Littwitz in unserer Galerie. Für die Zukunft sehne ich den Moment herbei, an dem wir Besucher:innen wieder ohne Auflagen in der Galerie empfangen.

8. Nina und Jens Mentrup (Galerie KM)

Wie schauen Sie auf das vergangene Jahr?
Die Begegnungen vor Ort fehlen uns sehr, die Galerie ist ein sozialer Raum. Vor allem für die Künstler:innen war die Unsicherheit in der Planung sehr schwierig, Ausstellungen standen monatelang in geschlossenen Institutionen. Anfangs gab es ein allgemeines Durchatmen und den Willen, etwas im System zu verändern – und das nicht nur durch das inflationäre Einrichten von Online Viewing Rooms. Es sind Zweifel angebracht, ob sich hier strukturell und politisch etwas ändern wird.

Gibt es etwas Positives, das Sie aus dem Lockdown mitnehmen?
Die besondere Situation hat den Austausch intensiviert, für den vorher wenig Zeit war. Das Innehalten hatte den Effekt, über Möglichkeiten nachzudenken, wie wir in Zukunft unsere Arbeit und unser Programm gestalten möchten. Dank der Förderung „Neustart Kultur“ zeigen wir aktuell die Ausstellung „Spielregeln“ von Sebastian Jung. Ausgehend von der Einladung von Nicolaus Schafhausen entsteht so eine ambivalente, sehr anregende Reflektion über den Kunstmarkt.

Worauf freuen Sie sich in naher Zukunft?
Kontinuität und Langfristigkeit sind wichtige Faktoren für uns. Wir freuen uns auf die Einzelausstellungen von Michaela Meise, Dragutin Banic und Hilla Toony Navok – und über unsere neue Website, gestaltet von Jules LaPlace und Ernst Markus Stein, die bereits 2020 ein Point&Click-Adventure als digitale Erweiterung von Steins Ausstellung konzipiert haben: „Another Wprld is possible“ (sic!).

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