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Der amerikanische Dirigent Kent Nagano

© Sergio Veranes

Wie eine ferne Erinnerung von Glück: Kent Nagano dirigiert Gustav Mahler

Regelmäßig kehrt Kent Nagano ans Pult des Deutschen Symphonie-Orchesters zurück. Jetzt hat er in der Philharmonie eine bewegende Aufführung von Mahlers Sechster geleitet.

Die Berliner Orchester kann man auch danach einteilen, wie viel Treue sie zu früheren Chefdirigenten halten – und diese zu ihnen. Während es wenig wahrscheinlich erscheint, dass Marek Janowski nochmal das RSB dirigieren würde, kehrt Iván Fischer regelmäßig ins Konzerthaus zurück und Kent Nagano als Ehrendirigent zum Deutschen Symphonie-Orchester. So wie am Freitag in der Philharmonie, auf dem Programm: Mahlers 6. Symphonie in a-Moll. 

Ziemlich schnell wird deutlich, was die Musiker und Musikerinnen des DSO an Nagano immer noch so schätzen. Ein Pathetiker, der Emotionen hochzüchtet, ist er nie gewesen, vielmehr ein – um einmal die Worte des verstorbenen Papstes Benedikt zu benutzen – im besten Sinne nüchterner und ehrlicher Arbeiter im Weinberg des Herrn Mahler. Mit dezidiert-eindeutigen, sehr verständlichen Gesten packt er die Partitur an, sauber und detailverliebt, ohne dabei detailpusselig zu werden, alles ist eingebunden in einen großen dramaturgischen Bogen, die voluminösen Steigerungen oftmals von langer Hand vorbereitet.  

Mahlers Leben war zu der Zeit das glücklichste - die Symphonie ist es nicht

Die Sechste ist ein Paradebeispiel dafür, welchen Holzweg es in der Kunstrezeption bedeuten kann, vom Leben aufs Werk zu schließen. Denn Mahlers Leben war 1903 und 1904 so gefestigt wie nie zuvor und nie mehr danach, er war Hofoperndirektor in Wien, hatte mit Alma Schindler die begehrteste Frau der hauptstädischen Musikszene geheiratet. Und doch beginnt die Symphonie gleich mit dem berühmten, aufwühlenden hämmernden Schicksalsmarsch, gegen dessen Präsenz sich das wahrscheinlich Alma gewidmete Nebenthema nur unter Mühen behaupten kann.  

Emotionaler Mittelpunkt des Stücks ist der langsame Satz, das Andante, das Nagano hier in starker Kontrastwirkung an zweiter Stelle stellt, die Reihenfolge der Sätze ist umstritten. Es wirkt wie ein Tagtraum, eine ferne Erinnerung an Glück, und Nagano findet mit dem Orchester auch genau den richtigen, im Grundgestus gedämpften Ton dafür.

Während Mahler hier ganz wahr und frei zu empfinden scheint, verbarrikadiert er sich im anschließenden, tumben Scherzo hinter gleich mehreren Schichten von Ironie. Dass der 30-minütige Finalsatz keine Lösung anbietet, vielmehr nach unzähligem Aufbäumen in Hoffnungslosigkeit zu ersticken scheint, hat bei der Uraufführung für Verstörung gesorgt. In der Philharmonie mündet es in langanhaltenden Jubel für Dirigent und Orchester. 

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