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Wiglaf Droste.

© imago images / Hubert Jelinek

Wiglaf Drostes „Vollbad im Gesinnungsschaum“: Gestern war auch nicht alles gut

Sprachkritik klingt oft nach Belehrung und moralinsaurem Tadel. Dass es auch anders geht, zeigte der 2019 verstorbene Berliner Schriftsteller, Sänger und Satiriker Wiglaf Droste. Seine humorvollen Glossen wurden nun gesammelt in einem Band veröffentlicht.

Von Jan Schroeder

Wiglaf Droste war der womöglich Letzte seiner Art. Klassische Sprachkritik wie bei Karl Kraus, Kurt Tucholsky und eben Wiglaf Droste, der ohne Vorbehalte in dieser Reihe mitgenannt werden kann, gibt es eigentlich nicht mehr. An ihre Stelle scheint ein Aktivismus getreten zu sein, der Sprache von jeglichen Formen von Diskriminierung befreien will.

Eine ehrenwerte Absicht, aber geht es jener neuen Sprachkritik auch um Schönheit und Wahrheit – um das Medium Sprache selbst? Angesichts von Genderbalken und Gendersternchen könnte das zumindest bezweifelt werden. Wiglaf Droste hätte wahrscheinlich seine Freude daran gehabt, allein schon aus ästhetischen Gründen, gegen diese Hässlichkeiten im Schriftbild zu polemisieren.

Chronik der Merkel-Jahre

Unter dem Titel „Vollbad im Gesinnungsschaum“ wurde nun eine Sammlung seiner sprachkritischen Glossen in der Edition Tiamat veröffentlicht. Klaus Bittermann, Herausgeber und Freund von Droste, gelingt mit dem Band auch eine kulturkritische Chronik der tiefsten Merkel-Jahre.

Das Buch versammelt Glossen aus den Jahren 1994 bis 2018, der Schwerpunkt liegt aber auf den Jahren 2008 bis 2014. Wiglaf Droste, der 2019 mit nur 57 Jahren an den Folgen einer Leberzirrhose starb, wollte nie mit erhobenem Zeigefinger belehren.

Kritik, schrieb er, könne nur treffen, wenn sie auch lustig sei. Dennoch verirrt sich Satire bei ihm nicht in endlosen Ironieschleifen. Sie hält an einem Wahrheitsanspruch fest und ist, bei allem Witz, häufig ernst gemeint.

Kleinere kontroverse Einlassungen zur Sex- und Genderdebatte leistete sich Droste schon vor Jahrzehnten. Diese seien „nur dazu ersonnen, einige Akademikerinnen zu ernähren“, kommentierte er bissig etwa 2004 in einem kurzen Text mit dem an Sitzheizungen anspielenden Titel „Mösenstövchen bleibt“. Keine Position, mit der er sich damals beliebt macht.

Droste war das egal. Er stritt leidenschaftlich, sprachgewaltig und mit jedem - egal ob links oder rechts. Würde er noch leben, wäre er wahrscheinlich längst „gecancelt“. Wobei das damals eigentlich schon passierte, avant la lettre gewissermaßen. So verlor er 2006 seinen Posten als Autor bei der taz („Trittbrettficker“ geht anscheinend gar nicht!) und landete mehrfach wegen der Schärfe seiner Sprache vor Gericht. 

Droste kritisierte nie nur einzelne Wörter, sondern sezierte Begriffe in ihrem Bedeutungszusammenhang. Ihm ging es nicht darum „problematische“ Worte zu verbannen, wohl aber inhaltsleere Floskeln zu entlarven. Aktionen wie das „Unwort des Jahres“ („Schlimm-Schlimm-Listen“) schmähte er ebenso wie die Humorlosigkeit und den versteckten Elitismus (um nicht zu schreiben: Snobismus) der übereifrigen Anhänger der politischen Korrektheit.

Gesinnung, der es um billige Wirkung und die Zurschaustellung der eigenen vermeintlichen Moralität geht – wahrscheinlich hätte Droste gegen den Begriff „Virtue signalling“ seine Einwände -, zeige sich an Phrasen wie „meine Wenigkeit“, „Wie müssen die Menschen mitnehmen!“, und „Vertrauensvorschuss“.

Was gesagt werden muss

Wobei in „Vollbad im Gesinnungsschaum“ so gekonnt und humorvoll polemisiert wird, dass jeder Versuch, Droste zu paraphrasieren oder zusammenzufassen, scheitern muss. Arglose Ausdrücke, die wir jeden Tag hören, dechiffrierte Droste treffend. Wer etwa die Leute „mitnehmen“ wolle, verrate dadurch, dass er „mit realen Menschen keinen Kontakt hat, sondern nur mit seinesgleichen, mit denen er über andere bestimmt“.

Das Buch repräsentiert eine kritische Geisteshaltung, die deplatziert wirkt, wenn es, wie gegenwärtig leider zu oft, nur noch darum geht, was „Fake“ und was „News“ ist. Wenn es nicht mehr darum geht, was wirklich wahr, schön und gut wäre, sondern nur noch darum, was, neben vielem anderen, gesagt werden kann, fehlt etwas. Wer Droste liest, wird daran schmerzlich erinnert.

Dennoch geht es hier tief in den Diskurs der Zeit, Droste urteilte nicht einfach von außen. Ob das N-Wort und andere unschöne Ausdrücke tabu sein sollten? Rassisten würden nicht umdenken, nur weil ihnen bestimmte Wörter verboten würden, meinte Droste. Der Rassist könne sich sehr wohl „hinter der Maske formal korrekter Sprache verstecken“, schrieb er.

Erschwerend hinzu komme: Höfliche, diskriminierungsfreie Sprache verdecke oft reale nicht-sprachliche Diskriminierung. Vielleicht wolle die Mehrheitsgesellschaft dem Rassisten gerade deshalb das Wort verbieten, weil dieser unverblümt ausplaudere, was zum Teil auch von der Mehrheit gewollt sei, aber nicht so benannt werde. „Man braucht kein Christ sein, um zu wissen, dass Maria und Josef heute in Deutschland bürokratisch korrekt, also eiskalt abgeschoben würden“, so Droste.

Solche streitbaren und humorvollen Nachhilfestunden in Sachen Grammatik und Alltagsideologie sind heute rar. Auch in anderen Bereichen sind öffentliche Intellektuelle weitestgehend durch Experten für Spezialgebiete („Fachidioten“), den Influencer, Guru und „Coach“ ausgetauscht worden. Gegen diese Zustände erscheinen Drostes Glossen aktueller denn je.

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