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"Herr der Fliegen", oft gelesen und gespielt. Hier im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.

© dpa

William Goldings "Herr der Fliegen": Verlorene Hoffnung

Es braucht keine Kannibalen, das Böse sprießt aus den Kindern selbst: William Goldings Klassiker „Herr der Fliegen“ erscheint in einer Neuübersetzung von Peter Torberg.

Die Natur des Menschen und ihr Verhältnis zum Bösen – seit Kain den Abel erschlagen hat, wird darüber kontrovers diskutiert. Der Glauben ans prinzipiell Gute im Menschen, der nur durch die falsche Gesellschaft korrumpiert werde, wechselt dabei regelmäßig mit Schüben pessimistischer Ernüchterung. William Goldings Klassiker „Herr der Fliegen“ erschien 1954. Damals gab es nach Hitler, Stalin, Auschwitz und Hiroshima kaum noch Kredit auf das Gute im Menschen. Mit einer Ausnahme: Kinder galten bis auf Weiteres als „unschuldig“.

„Herr der Fliegen“ ist die Widerlegung dieser Restutopie. Die Welt versinkt im Chaos, ein Atomkrieg findet statt (es bleibt bei Andeutungen); englische Schuljungen werden in entfernte, sichere Gebiete geflogen. Das Flugzeug muss notlanden auf einer unbewohnten tropischen Insel. Wunderbarerweise – und erster Verweis auf die eher allegorische als realistische Grundierung von Goldings Erzählen – bleiben die Kinder unverletzt und können ohne posttraumatischen Schock ein Sozialexperiment starten. Schon bald entwickeln sich Spannungen, vor allem zwischen dem gewählten Anführer Ralph und dem aggressiven Usurpator Jack, dessen Lust am Jagen und Töten über den Zweck der Nahrungsbeschaffung hinausschießt. Seine Gruppe der Jäger entwickelt sich zu einem kriegerisch bemalten, dunklen Ritualen ergebenen Stamm, der die Oberherrschaft über die Jungen gewinnen und Gegner zur Strecke bringen will.

Der Wilde arbeitet sich auf dem Inneren hervor

„Herr der Fliegen“ ist durchzogen von einem dichten Leitmotivgeflecht. Realistik und Symbolik gehen bezwingende Verbindungen ein, wenn es etwa heißt, der im gleißenden Sonnenlicht liegende Strand sei „so sauber wie eine blankgescheuerte Klinge“ – ein bedrohliches Bild, in dem Landschaftsbeschreibung und Gewaltmotivik zusammenkommen. Zu Goldings literarischen Mustern gehören „Robinson Crusoe“ und „The Coral Island" von R. M. Ballantyne von 1858, ein Roman, der von einigen Jungen erzählt, die sich nach einer Schiffskatastrophe allein auf einer Südsee-Insel durchschlagen. Das Bedrohliche ist in beiden Romanen das Fremde, bei Robinson etwa die panische Angst vor den Kannibalen. Dagegen bietet „Herr der Fliegen“ eine schroffe Kontrafaktur, Kannibalen braucht es nicht. Das Unheimliche, Böse, Destruktive sprießt aus den Kindern selbst, der Wilde arbeitet sich gleichsam aus ihrem Inneren hervor und durchbricht die dünne Kruste der Zivilisation. Am Ende herrscht purer Terror.

Vergleicht man nun die alte Übersetzung mit der neuen von Peter Torberg, findet man in fast jedem Satz eine Verbesserung. Zwei Beispiele: „Von der Hand Gottes bewegt (…) lagen innerhalb der Lagune Sandmassen aufgetürmt“, liest man in der alten Fassung und stutzt. Ist Golding denn ein religiöser Autor? „Act of god“ heißt es im Original, was nicht „Hand Gottes“ bedeutet, sondern „höhere Gewalt“ oder „Naturereignis“ – wie es in der Neuübersetzung heißt. Beim ersten Auftritt Piggys heißt es in der alten Übersetzung: „Der, dem die Stimme gehörte, schaffte sich rückwärts aus dem Buschwerk heraus. Zweige zerrten an seiner schmierigen Windbluse.“ Eine Aneinanderreihung sprachlicher Ungeschicklichkeiten. Torberg übersetzt geschmeidiger: „Der Junge, zu dem die Stimme gehörte, schob sich rückwärts aus dem Gestrüpp, und die Zweige kratzten über die speckige Windjacke.“ Torberg zieht den sprachlichen Grauschleier von Goldings Roman.

William Golding: Herr der Fliegen. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Verlag S. Fischer, Frankfurt/Main. 224 S., 19,99€.

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