zum Hauptinhalt
Charisma mit Schatten. Willy Brandt.

© imago/Klaus Rose/IMAGO/Klaus Rose

Willy Brandt: Allein bei sich zu Haus

Dem Menschen nahekommen: Gunter Hofmann porträtiert den großen Sozialdemokraten

Gunter Hofmann schreibt in der Einleitung: „Die letzte Biographie über ihn verfasste Peter Merseburger, ein imponierendes Mammutwerk nicht zuletzt über die fernen Exiljahre, das 2002 erschien.“ Tatsächlich erschienen nach Merseburgers Buch noch sechs weitere Biografien. Richtig ist aber, dass es bis heute unübertroffen ist. Auch Hofmann versucht das nicht, sein Buch ist eine von starker Sympathie getragene sehr persönliche Annäherung an Willy Brandt. Lebhaft und interessant wird es immer dann, wenn Hofmann von Ereignissen berichtet, die er als Journalist selbst erlebt hat. Ihm geht es um „meinen Brandt“.

Die Darstellung folgt keiner strengen Chronologie, die Kapitel sind vielmehr themenzentriert. So beschäftigt sich nach einem kurzen Blick auf Brandts Kindheitsjahre das erste größere Kapitel mit dem Widerstand gegen Hitler und den Männern des 20. Juli. Für Willy Brandt, der Deutschland im Alter von 19 Jahren verlassen hatte, war dies lebenslang ein entscheidender Bezugspunkt seines Denkens. Er registrierte sehr genau, dass der Widerstand auch nach 1945 in Deutschland jahrzehntelang nicht anerkannt war. „Während der Altnazi immerhin als Patriot galt“, schrieb er, wurde der Emigrant „mit dem Odium des Landesverrats versehen“.

Erbitterte Gegner

Der 20. Juli 1944 war auch von großer Bedeutung für Brandts Entscheidung, nach dem Krieg nach Berlin zu gehen. Dort lernte er schon bald Ernst Reuter kennen, der wie Brandt emigriert war und 1946 aus der Türkei zurückkehrte. Reuter förderte Brandt, starb allerdings schon 1953. Im Berliner Landesvorsitzenden Franz Neumann hatte Brandt dagegen einen erbitterten Gegner, der auch nicht davor zurückscheute, bei seinem Kampf gegen den Rivalen Anleihen bei den Schmutzkampagnen der Konservativen zu nehmen.

Diese innerparteilichen Auseinandersetzungen, die auch dazu führten, dass Brandt bei der Wahl in den Bundesvorstand der SPD mehrfach durchfiel, erwähnt Hofmann nur am Rande. Ihn interessiert vor allem die innere Entwicklung Brandts, er versucht dem Menschen nahezukommen. Hofmann stützt sich dabei vor allem auf die autobiografischen Schriften, aus denen er ausführlich zitiert, zumeist allerdings ohne Quellennachweis. Hofmanns plausible These, Brandt, der lebenslang unter dem abwesenden Vater litt, sei vor allem bei sich selbst zu Hause gewesen, ist ein roter Faden seiner Darstellung.

Der Autor stellt mit Günter Grass und Herbert Wehner zwei Persönlichkeiten in eigenen Kapiteln heraus. Der eine steht für eine neue Art der Beziehung zwischen Kultur und Politik und auch für eine neue Art des Wahlkampfs, wie es sie bis dahin nicht gegeben hatte. Der andere ist in der Ära Brandt der wohl mächtigste Mann in der SPD, der schwer daran trug, dass er aufgrund seiner kommunistischen Vergangenheit nie der erste Mann in der Partei und noch weniger im Staat werden konnte, woraus viele Konflikte resultierten.

Lehrmeister Lenin

Hofmann verehrt „seinen Brandt“, das zeigt dieses sympathische Buch. Von der Geschichte der SPD hingegen weiß er nicht viel. So behauptet er, Bebel haben neben Lassalle den moderateren Flügel der Partei vertreten und Lenin sei der Lehrmeister Rosa Luxemburgs gewesen, beides Aussagen, die gleichermaßen absurd sind. Von Jakob Walcher gibt es ein Foto aus dem Jahr 1932. In der Bildunterschrift wird behauptet, Walcher würde eng mit Rosa Luxemburg zusammenarbeiten, die damals schon 13 Jahre tot war. Tatsächlich war der wesentlich jüngere Walcher vor dem Krieg einer ihrer vielen Schüler an der Parteischule der SPD gewesen.

Es gibt eine beachtliche Reihe von sachlichen Fehlern, die offenbar keinem Lektor aufgefallen sind. So zählt Hofmann Werner Maihofer (FDP) zum sozialdemokratischen Teil der Bundesregierung. Eine ärgerliche Schlamperei ist es, wenn von der Willy-Brandt-Stiftung die Rede ist. Sie heißt, wie alle vergleichbaren Einrichtungen, Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung.

Wirklich schockierend aber ist es, wenn Hofmann schreibt: „Der Rest der Reichstagsfraktion stimmte am 17. Mai für die ‚Friedensresolution‘ Adolf Hitlers. Schlimmer, die Reichstagsfraktion segnete mehrheitlich das ‚Ermächtigungsgesetz‘ ab.“ Wer es unternimmt, ein Buch über Willy Brandt zu schreiben, sollte wissen, dass die SPD als einzige Partei geschlossen gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt und nicht zuletzt daraus ihren Anspruch abgeleitet hat, in der zweiten deutschen Demokratie eine führende Rolle zu spielen.

Ärgerlich ist es, dass eine Bibliografie fehlt, Bücher werden in den Anmerkungen abgekürzt zitiert, ohne Verweis darauf, wo die erste Zitierung mit den vollständigen Angaben zu finden ist. Auch ein Abkürzungsverzeichnis fehlt.

Wer eine umfassende Biografie Brandts sucht, um sich zuverlässig zu informieren, ist nach wie vor mit Merseburgers Arbeit am besten bedient. Wer schon ein Bild von Brandt hat und an zusätzlichen Aspekten und Gedanken zu dessen Persönlichkeit und Lebensweg interessiert ist, liest Hofmanns Buch mit Gewinn.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false