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Seelenlandschaft: Ein Ausschnitt aus "Shichecha Nr. 30" von Yehudit Sasportas.

© Uwe Walter / Eigen + Art

Yehudit Sasportas in der Villa Schöningen: Risse in der Wahrnehmung

Die Villa Schöningen zeigt Arbeiten der israelischen Künstlerin Yehudit Sasportas. In ihren abstrakten Gemälden erkundet sie metaphysische Zwischenzonen.

Yehudit Sasportas ist eine Meisterin des Verbergens. Niemand hat bemerkt, dass sie als Kind ihre Familie belauschte. Mit Kassettenrekorder und gedrückter Aufnahmetaste, allerdings bei ganz harmlosen Sachen: beim Frühstück oder Aufräumen. Im Alltag eben.

In den Gemälden der gebürtigen Israelin, die aktuell in der Villa Schöningen ausstellt, scheinen diese Geschichten nicht zusammenzukommen. Es sind Bilder von dunklen Wäldern. Dichtes Unterholz bedeckt den Boden, feines Blattwerk verhängt den Himmel. Yehudit Sasportas arbeitet streng in Schwarz und Weiß, ihre Motive erinnern an Zeichnungen, wären sie nicht so monumental. So aber glaubt man, die Künstlerin habe sie großflächig auf die Holztafeln drucken lassen – oder sie sei ein bisschen obsessiv. Was für ein Kontrast stellt dann die Begegnung mit der zarten, beherrschten Frau dar, die erzählt, dass sie seit Jahren regelmäßig Zeit in einer norddeutschen Moorlandschaft verbringt. Ein Naturschutzgebiet, das der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Doch Yehudit Sasportas hat ihren Deal: Ein Wächter begleitet sie, und so kann sie auf ihren Touren die Eindrücke dieser singulären Wildnis in sich aufsaugen.

Aus Waldbildern werden Psychogramme

Das Ergebnis wirkt nahezu romantisch. Doch dann tauchen die schwarzen Striche und konzentrischen Kreise auf Bildern wie „Shichecha“ oder „Vertical Swamp“ auf. Die Linien fallen mal dick und mal dünner herab, sammeln sich zum Streifenvorhang und stören das Idyll. In jüngeren Arbeiten gewinnen die Muster sogar haptische Qualität: Sie sind als geometrische Formen aus den Flächen geschnitten und werden durch dunkel gefärbte Intarsien ersetzt. Ihre Tiefenwirkung lässt die Natur in den Hintergrund rücken, macht sie artifiziell. Es kippt der Eindruck von Landschaftsgemälden, wenn Sasportas erzählt, dass die abstrakten Elemente ihrer Gemälde Informationen darstellen, die sie sammelt: Stimmen, Kommentare inklusive der psychischen Zustände, die sich an das Gesagte koppeln.

So werden aus den Waldbildern Psychogramme. Eine Seelenlandschaft, die doch wieder zur Romantik führt – wenn auch zur dunklen Seite jener Epoche, die das Inwändige des Menschen erlauschen wollte. Yehudit Sasportas, Jahrgang 1969, hat dafür ihre eigenes Zeichensystem entwickelt. Sie codiert das Gehörte in anonymen Balken, die unübersehbar sind. Bloß entziffern lassen sie sich diese „Lebensäußerungen“ nicht, sie können für alles stehen. Auch für das Abgründige, das man schnell in den düsteren Ansichten mit ihrem undurchdringlichen Geäst und dem lichtlosen Baumbestand vermutet.

Die Künstlerin, die 2007 Israel auf der Venedig Biennale vertrat, lässt das so stehen. Ihre mentalen Mappings bieten nur Interpretationsflächen. In Interviews betont sie, wie spannend ihr die Momente kurz vor dem Einschlafen und Aufwachen vorkommen. Als Zwischenzonen, in denen das Bewusstsein kurzzeitig mit dem Unbewussten paart. Ein Spalt werde sichtbar, so Sasportas, durch den man parallel erleben kann, was sich sonst auf eine Wahrnehmungsebene beschränkt.

Totes Material beginnt zu leben

Anschaulich macht sie dieses Interesse an Vorgängen, die sich während der eigenen An- wie Abwesenheit ereignen können, in dem Video „The Magnetic Shaky Table“, einer Langzeitstudie in ihrem Atelier. Via Kamera wird sichtbar, wie sich Dinge auf einem Tisch bewegen: getrocknetes Moos und Äste, magnetische Steine und Kabel, mit denen die Künstlerin einige Fundstücke umwickelt. Es ist ein abstraktes Stillleben, unterlegt von Geräuschen, die ihr Bruder Gamliel komponiert. Ein wanderndes auch, weil die magnetischen Schwingungen das Arrangement in Bewegung halten. Ein Stoß gegen die fragile Konstruktion genügt, schon sortieren sich die Gegenstände neu. Im Zeitraffer wirkt das wie eine spiritistische Sitzung, in der das tote Material auf unerklärliche Weise zu leben beginnt.

Yehudit Sasportas macht kein Geheimnis aus ihrer wunderbaren, wundersamen Arbeit und staunt doch genau wie die Besucher ihrer Ausstellung über dieses scheinbar metaphysische Ereignis. Dass es sich aus physikalischen Gesetzmäßigkeiten speist, tut seiner Wirkung keinen Abbruch. Es ist ja da, man muss es bloß wahrnehmen. Yehudit Sasportas ist also auch eine Meisterin im Sichtbarmachen. Weshalb sollte ihre Ausstellung in Potsdam sonst „Rifts of Absence“ heißen? Risse, aus denen das Abwesende hervorlugt.

Villa Schöningen, Berliner Str. 86, Potsdam, bis 5.6. Do-So 10-18 Uhr

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