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ALLES FLlESST: Das Tacheles existiere nicht mehr, hatte Ping Kwan in Hongkong gehört. Das stimmte nicht, die Atmosphäre aber, fand er später, hatte sich geändert.               Foto:  D +  Q

© D + Q

Zeitkapsel: Die vielleicht ikonischste Szeneruine Berlins im Film

Zur Eröffnung des Fotografiska Museums in den ehemaligen Tacheles-Räumen zeigt das Babylon Kino ein bislang unveröffentlichtes Zeitdokument.

„Für den Film mache ich alles“, sagt Klaus Tuschen beim Treffen am Tacheles, das den Mythos des Nachwende-Berlin mit begründete. Tuschen ist 72 Jahre alt und geschwächt von einer überstandenen, jahrelangen Krebserkrankung. Aber das neue Luxusquartier auf dem Gelände des einstigen Kunsthauses bringt ihn Wallung: „Mich erinnert das an einen Knast“, sagt er auf dem betonierten Innenhof in der neugebauten Passage. „Hier gibt’s Wohnungen, die sind so teuer wie der Preis, den Berlin als Stadt vom ersten Investor bekommen hat – 3,5 Millionen. Haben sie sich wieder über den Tisch ziehen lassen.“

Klaus Tuschen ist ein besonderer Zeitzeuge. Anfang der 1990er Jahre hat er für den Dokumentarfilm Aufgestanden in Ruinen – Projekt Tacheles ein Jahr lang hier gedreht, den Beginn der selbstverwalteten Arbeit in den Freiräumen in Ost-Berlin auf Beta SP dokumentiert. Eine No-Budget-Produktion, die am 12. September im Babylon Mitte ihre Kino-Premiere erlebte. Nach dem Schnitt gab es Querelen zwischen den Machern, später ging die Produktionsfirma pleite. So war Aufgestanden in Ruinen bislang nur bei ein paar privaten Vorführungen zu sehen.

Die verspätete Erstaufführung kommt zum richtigen Zeitpunkt. Im Luxusquartier eröffnet zwei Tage später eine Filiale des kommerziellen Fotografiska-Museums, „in jeder Etage Gastronomie“, berichtet Tuschen, „da sind die verarscht worden“. Gemeint ist der Kultursenat, dessen damaliger Chef André Schmitz bei der Räumung des Kunsthauses 2012 noch darauf verwies, die kulturelle Nachnutzung sei im Grundbuch festgeschrieben.

Busse versenken: Fahr- und Flugzeuge, retrofuturistischer Steampunk und mehr verlieh dem Tacheles etwas von einem Erwachsenen-Spieplatz
Busse versenken: Fahr- und Flugzeuge, retrofuturistischer Steampunk und mehr verlieh dem Tacheles etwas von einem Erwachsenen-Spieplatz

© IMAGO/ALEXANDER KRAUSE

Ringen um Freiräume

Tuschens Film ist ein Dokument im besten Sinne. Über eine befreundete Rechercheurin kam der Filmemacher an Archivmaterial – Aufnahmen von der Friedrichstraße von 1978, als die Kuppel des einstigen Warenhauses noch nicht gesprengt war. Gut gelaunte Berichte über einen Pudelsalon, der zu DDR-Zeiten in der Ruine residierte. Oder Bilder aus dem sowjetischen Film Befreiung von 1969, in dem die Kuppel als Kulisse diente.

Wie schwer das basisdemokratische Ringen um die Ausgestaltung des Freiraums im Tacheles ist, wird dann zum eigentlichen Gegenstand des Films. Der Australier Peter Poynton amüsiert sich über die Deutschen, die Vollversammlungen lieben, während er sein Café Zapata einfach betreibt. Der Konflikt spitzt sich am Ende zu als Kampf zwischen „den Moderaten und den Chaoten“, wie Tuschen die beiden Lager nennt.

Alles, nur nicht Fassade: Das Tacheles 1995
Alles, nur nicht Fassade: Das Tacheles 1995

© imago stock&people/imago stock&people

Zu ersteren gehört der spätere Kulturmanager Jochen Sandig (Radialsystem), der im Jahr des Drehens ein eindrucksvolles Makeover vom flippigen Post-Bhagwan-Mähnen-Schwaben zum smarteren Jacket-Träger mit gestutztem Haar hinlegt. Einmal führt er Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) durch die Räumlichkeiten, die Tipps zum Überleben gibt („Zuwendungsempfänger ist viel mehr als Projektförderung“).

Nichts als Fassade?

Mit dem Abstand zu heute funktioniert „Aufgestanden in Ruinen“ wie eine Zeitkapsel. In der ist nicht nur der Angriff von Neonazis aufs Tacheles aufgehoben, bei dem ein Betroffener ausführlich von Verbrennungen erzählt, die zu schnell vergessener Alltäglichkeit rechter Gewalt gehörten. Man schaut mit dem Wissen von heute auch anders, nämlich wie eine ruchlose Immobilienentwicklerin, die vor allem auf die Ahnungen der Beteiligten achtet, wenn die sich Gedanken über die Zukunft ihres Projekts machen. Dass das Kapital kommen wird, dass vom richtigen Sponsor geträumt wird, dass, wie ein Denkmalschützer sagt, eines nicht passieren darf – dass bloß die Fassade bleibt und dahinter irgendwas gebaut wird.

Hochglanz: Der letzte Schliff vor der Eröffnung des Fotografiska
Hochglanz: Der letzte Schliff vor der Eröffnung des Fotografiska

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Was zu beweisen war. Klaus Tuschen erinnert derweil daran, dass das erste Kaufhaus an der Stelle zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Monaten pleite war und auch der zweite Versuch bald scheiterte. Womöglich gibt es am Tacheles ja mehr Kontinuität als Wandel.

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