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Modernes Wahrzeichen. Längst sind sämtliche 480 000 Karten für das erste Halbjahr ausverkauft. Heute wird die Elbphilharmonie eröffnet.

© dpa

Die Großspender der Elbphilharmonie: Eine Liebe für Millionen

Else Schnabel hat einen Teil ihres Vermögens für die neue Philharmonie gegeben. Weil sie etwas bewegen will in ihrer Stadt. Aber über Geld reden? Schickt sich nicht. Wie aus dem Hafenmädchen die Mäzinen wurde, ohne die es kein Konzerthaus gebe.

Sogar ihr Mann hat 2007 noch zu einem "Baustopp" geraten. Man möge mit dem Unsinn aufhören, forderte der Milliardär Hermann Schnabel. Seine Begründung begann mit den Worten „Jeder Kaufmann weiß ...“. Da waren die Baukosten für die Elbphilharmonie von 186 auf 450 Millionen Euro angestiegen und der Grundstein gerade erst gelegt.

Jetzt können sie in Hamburg natürlich sagen, sie hätten es immer gewusst. Wenn das Haus erst fertig sei, würde man seinem Glanz schnell erliegen. Wen kümmerten da noch die vielen, sehr vielen Millionen Euro, die es teurer wurde als ursprünglich angenommen.

Das könnten sie jetzt sagen.

Mit Blick auf Stuttgart etwa. Wo sie sündhaft teure Tunnelröhren für den unterirdischen Bahnhof bald durch das Anhydrit-Gestein treiben. Dort fragt man sich, ob die Milliarden, die das verschlingt, noch in einem Verhältnis zum späteren Nutzen stehen. Wie lange muss die Bahn 20 Minuten Zeitersparnis zusammenfahren, um die Kosten raus zu haben?

Oder mit Blick auf Berlin, wo ... ach, lassen wir das.

So können sie also reden in Hamburg. Else Schnabel tut es aber nicht. Die Wahrheit ist, dass die betagte Dame lange gezögert hat bei dem Gedanken, sich in die Phalanx der Elbphilharmonie-Unterstützer einzureihen. Sollte sich Else Schnabel etwa gegen ihren Mann stellen?

Zu nichts gut, als Musik zu hören

„Ja, wenn ein Kaufmann rechnet, dann müssen die Zahlen stimmen“, sagt die 80-Jährige beinahe entschuldigend. In Hamburg haben sie ja nicht mal einen Funktionsbau errichtet. Zu nichts gut, als Musik zu hören und seinen Anblick auf einer Landspitze der alten Speicherkais unvermeidlich zu finden.

Ein Juwel also.

Ein modernes Wahrzeichen schon jetzt für die Seefahrerstadt mit dem wellenförmig geschwungenen Dach, dieser erstarrten Meeresoberfläche.

Platin-Status. Bei einer Führung durchs Haus erwachte in Else Schnabel der Wunsch, dabei zu sein – mit mehr als 100 000 Euro.
Platin-Status. Bei einer Führung durchs Haus erwachte in Else Schnabel der Wunsch, dabei zu sein – mit mehr als 100 000 Euro.

© Kai Müller

Ein herrliches Bild auch für die Wankelmütigkeit und das Launische der See, der Hamburg seinen Reichtum verdankt. Diesen Anblick wollten vom ersten Entwurf an alle in der Stadt. Und diejenigen, die in ihr sehr reich geworden sind, durch ihr Geschick in Transportfragen zumeist, haben dann einiges privates Geld hineingesteckt in das bodenlos erschienene Objekt. Michael Otto, Versandkonzern-Chef, gab zehn Millionen und meinte sinngemäß: Wartet ab, es wird was Großes.

Das habe auch ihr Mann gedacht, sagt Else Schnabel nun wenige Tage vor Eröffnung des Konzerthauses. Er habe dem Senat bloß übel genommen, dass man sich mit vagen Schätzungen begnügte, dass die Zahlen nur so tanzten in den Kalkulationen. Hatte der Chemikalienhändler für jeden eigenen Planungsfehler nicht stets mit seinem Privatvermögen gehaftet? Das konnte man von den Politikern nun nicht gerade behaupten.

Damals lagen noch dunkle Schwaden über den Docks

Andererseits ging das Ehepaar Schnabel mit Fehlern durchaus großzügig um. Das Gebäude der Hamburger Staatsoper etwa kann man für einen einzigen Fehler halten. Ein moderner Nachkriegskasten. Hermann Schnabel stießen darin vor allem die Waschräume auf, und er setzte sich für deren Umbau ein.

„Mir war das fast peinlich“, sagt Else Schnabel über die Leidenschaft ihres Mannes, ausgerechnet die Toiletten betreffend. Und sie lacht auf die raue, uneitle Art, die ihren Ursprung in einfacher Herkunft zu haben scheint. Ein Mädchen vom Hafen ist sie, ihr Vater arbeitete an den Kais als Stauervize, was bedeutete, „dass er die Lokomotive ins Schiff dirigierte“, mit Handzeichen, die er dem Kranführer gab. Damals, als noch dunkle Schwaden über den Docks lagen und Arbeiter sich zu Tausenden in Barkassen zu den Werften und Lagerschuppen übersetzen ließen. Die kleine Else begleitete ihre Mutter freitags ins Lohnbüro, um das Geld für die Woche abzuholen.

Von dort ist es ein weiter Weg in die Poppenbütteler Villa, die Else Schnabel heute bewohnt. Zur Begrüßung hat sie geduldig an der Glastür des Entrees gestanden, bis der Gast zu Fuß vom Tor durch den weitläufigen Park und in das gleißende Licht des Baldachins gelangt ist. Die blonden Haare im Nacken hochgesteckt, trägt sie ein helles Kurzkleid, dazu Schuhe in derselben Farbe. Die Möbel sind in Weiß gehalten. An den Wänden hängen einige Bilder der französischen Impressionisten, die sie und ihr Mann Anfang der 70er Jahre zu sammeln begannen.

Damals löste sich die Kunst gerade überall in Formlosigkeit auf, wurde zur Behauptung. „Wir wollten das Liebliche, das Hübsche“, sagt Else Schnabel.

Manchmal geht sie immer noch zu Auktionen, aber sie bietet nicht mit. Noch ein Bild kaufen? „Wozu denn?“ Sie könne ein weiteres Gemälde ja doch nicht aufhängen, sagt sie.

Unter Hanseaten schickt es sich ohnehin nicht, über Geld zu sprechen. Noch es zu zeigen. Man könnte von der Menge auf den Charakter schließen. Und was dächte man da wohl?

Platin-Status Else Schnabel hat 100000 Euro gespendet

Else Schnabel ist trotzdem bereit zu erklären, was Geld aus ihr gemacht hat und wie sie zur Mäzenin der Elbphilharmonie wurde, Platin-Status mit mehr als 100000 gespendeten Euro.

Allerdings, zunächst wurde sie es ja nicht. Warum eigentlich, Frau Schnabel? Gefiel Ihnen nicht, was da entstand?

Doch, doch, das sei nicht der Grund gewesen. Waren es die immer höheren Baukosten, die lange bestehende Terminunsicherheit? Nein, nein. Also? „Es ist nicht leicht, wenn man seinen Mann verliert“, sagt sie. „Nach 44 Ehejahren.“

Hermann Schnabel war gerade 89 Jahre alt geworden, als er 2010 starb. Er hatte im Krankenbett liegend mit Choreograf John Neumeier noch das Programm für seinen 90. Geburtstag besprochen. Ob die Tänzer der Staatsopern-Compagnie um den Stifter neuer Publikumssitze und neuen Marmors herumgewirbelt wären, wie sie es 2001 schon einmal getan hatten, während er bühnenmittig allein auf einem Stuhl von jedem eine Rose empfangen hätte?

Else Schnabel zog sich nach dem Verlust in sich selbst zurück, verlor, was sie Lebensfreude nennt. Sie musste auch erleben, dass der große Kreis derer, die die Nähe ihres erfolgreichen Gatten gesucht hatten, sie nicht miteinschloss.

Hermann Schnabel – „er war ja nicht einmal Hamburger“, sagt seine Witwe – war zerschossen aus dem Zweiten Weltkrieg nach Schlesien heimgekehrt und ein versierter Schwarzmarkthändler gewesen, bevor er 1950 eine kleine Handelsfirma namens Otto K. Helm in Hamburg kaufte. Sein Ansatz: zu beschaffen, woran es im kriegsversehrten Deutschland mangelte. Und das waren chemische Grundstoffe. Sein Erfolg machte ihn zum Milliardär, als der Begriff noch etwas Mythisches besaß. „Och“, sagt Else Schnabel, „die Gewinnspanne bei Chemikalien war unglaublich.“

"Da kannst du dich eigentlich auch mal drum kümmern"

Sie hatte sich als Schreibkraft in der Firma Helm beworben. Bei der Einstellung weinte sie vor Glück und bedankte sich mit einer Rose, die sie dem Chef heimlich auf den Schreibtisch stellte. Er fand aber heraus, wer es gewesen war. Von da an freute er sich, wie er schrieb, wenn sie ihm als Mitarbeiterin des Prokuristen abends die Unterschriftenmappe vorlegte. Sie heirateten 1965 und führten auf ihrem „Park Lane“ genannten Anwesen das Leben wichtiger Leute.

„Es war angenehm, dass wir Geld hatten“, sagt sie. „Mein Mann ließ keinen Bettler stehen.“ Wie es ihre Art ist, führte sie bis zu seinem Tod ein Haushaltsbuch, in dem sie sorgfältig Ausgaben notierte. „Für mich allein“, sagt sie, „machte das dann keinen Sinn mehr.“

Nur wenige Freunde blieben. Feste mag sie bis heute nicht mehr geben. Und in der Zeit der Trauer stand ihr nicht der Sinn danach, sich mit einem problembehafteten Experimentalbau wie der Elbphilharmonie zu beschäftigen.

Doch es blieb nicht ewig dunkel in ihr. Eines Tages dachte sie bei dem Stichwort Elbphilharmonie: „Da kannst du dich eigentlich auch mal drum kümmern.“

Alles begann mit einer Postkarte

Niemand trat auf sie zu. Umgarnte sie, schwärmte für die Sache. Es war an ihr, sich bei der Stiftung Elbphilharmonie zu melden. Man lud sie ein, sich die Baustelle anzusehen. Sie sah den großen Saal mit seinen eigenartig korallischen Innenflächen und die „wie ein Wolkenhimmel“ gestaffelten Ränge. Die vertikalen Schneisen zwischen den Etagen des Foyers, nirgends ein rechter Winkel, stattdessen kühne Ausblicke über den Hafen. „Kein Wunder, dass es so schwierig war“, verstand sie nun. Bis aufs Dach wurde sie geführt. „Da erwachte in mir der Wunsch, dabei zu sein.“

Drei Jahre ist das her. Wer sonst noch als Wohltäter „dabei“ war mit seinem Geld, war ihr egal. Die Reichen der Stadt, wenn sie sich begegneten, würden über derlei Dinge schweigen. Ihr Geld solle den Künstlern zugutekommen, nicht laufende Betriebskosten abfangen. Das sei dann schon doch die Aufgabe der Stadt. Sie, als gebürtige Hamburgerin, wollte etwas voranbringen helfen, dass ihre Stadt voranbringt. Aus purem Elbstolz. Hamburg, wie es sein sollte.

Tatsächlich hatte die Idee für dieses Haus von Anfang an etwas gefährlich Verführerisches. Dabei begann alles mit einer Postkarte. Mehr als diese Gebrauchsansicht von dem alten Kaispeicher A hatte der Initiator Alexander Gérard nicht dabei, als er seinen Studienfreund, den Stararchitekten Jacques Herzog, im Dezember 2001 von der Möglichkeit einer Umwandlung des Lagerhauses in eine Konzerthalle überzeugen wollte.

Herzog besah sich das Bild. Ein Lagerhaus also. Darin befanden sich doch Sachen, oder? Kakao- und Kaffeesäcke. Die müssten dann ja wohl erst mal raus. Und so stapelte Herzog, was sich in dem Backsteinbunker befand, gedanklich obenauf.

Wenn daraus nicht der kühne Wellenschlag hervorgegangen wäre, vielleicht hätte es doch sehr früh einen Baustopp gegeben. „Die Schönheit hat das Projekt gerettet“, meint Jacques Herzog.

Mäzene bezahlten neun Prozent der Gesamtsumme

Die Spendenbereitschaft der Hamburger war von Anfang an groß. Michael Ottos Vorbild schlossen sich nach 2005 andere an, etliche mit Millionenbeträgen. Darunter die hanseatischen Immobilienkönige Helmut und Hannelore Greve, nach denen nun ein Foyer benannt ist. Am Ende mussten 77 Millionen Euro von Mäzenen zur Deckung der Baukosten aufgebracht werden, neun Prozent der Gesamtsumme. Helmut Greve gehört zu denen, für die das Projekt zu lange auf sich warten ließ. Er starb im vergangenen Sommer.

Über die Selbstlosigkeit eines solchen Engagements herrscht allgemein Uneinigkeit. Doch die Bedeutung von Mäzenen nimmt über die Elbphilharmonie hinaus zu. Der Staat wendet etwa zehn Milliarden Euro jährlich für Kulturaufgaben auf. Die Summen privater Geldgeber belaufen sich Schätzungen zufolge auf eine Milliarde Euro.

Mäzene würden sich „Denkmäler“ errichten, sagte der Reeder Peter Krämer einmal. Sie gründen Stiftungen, um Kapitalerträge der Steuer vorzuenthalten und in ihre Leidenschaften zu stecken. Ihr gutes Recht, aber ein bisschen egoistisch.

In Else Schnabels Villa gibt es vieles doppelt. Vor dem Fernseher stehen zwei bequeme Sessel, zwei kleinere an einem Teetischchen und auch zwei gepolsterte Armstühle vor den großen gepanzerten Terrassenfenstern, paarweise arrangiert. Wie überflüssig sie sich als Einzelne vorkommen mag. Die Elbphilharmonie und die Beschäftigung mit anderen Projekten geben ihrem Alltag etwas, das wichtig ist.

Das erste Halbjahr ist ausverkauft, 480000 Tickets

Dass nun selbst Freunde aus dem fernen Amerika sich bei ihr erkundigen, wie weit der Bau gediehen sei, ob sie hingehe und ob sie selbst kommen dürften, zeigt ihr, dass die „schmutzige Hafenstadt“ nun anders wahrgenommen werde in der Welt. Es sind Leute aus New York, die wie sie selbst eine Wohnung im Trump Tower besitzen. Diese Menschen reisten nach Sydney, London, Mailand, Berlin. Die Hansestadt hatten sie bislang links liegen lassen. Sie war kein Gesprächsstoff gewesen.

Jetzt prophezeit der Chefdirigent der Hamburger Staatsoper Kent Nagano, dass die „Elphi“ der „beste Konzertsaal der Welt“ werde. Architekturkritiker jubeln, vergleichen die "Elphi" in ihrer städtebaulichen Bedeutung mit der Oper von Sydney. Längst sind sämtliche 480000 Karten für das erste Halbjahr ausverkauft. Die führenden Orchester verhandeln um Konzerttermine.

Else Schnabel hat den Behörden längst alle erforderlichen Daten für den Festakt durchgegeben. Der Bundespräsident und die Kanzlerin haben ihr Kommen zugesagt. Else Schnabel wird wie gewöhnlich von ihrem Fahrer im Maybach zu dem Ereignis kutschiert. Sie wolle bereits nachmittags vorfahren, meint sie. Denn mag sie auch gezögert haben, diesmal will sie zu den Ersten gehören.

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