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Bernd Matthies

© Kai-Uwe Heinrich

Matthies meint: Twitter: Wo ist die Bartwickelmaschine?

Der Schlüssel zur sogenannten Politikverdrossenheit liegt darin, dass wir unsere Politiker, speziell die Abgeordneten, nie wirklich bei der Arbeit sehen. Bernd Matthies hofft auf Abhilfe durch Twitter.

Ein paar Debatten vor halb leerem Plenum im Fernsehen – und das Vorurteil ist geprägt. Das stete Klopfen im stickigen Steinbruch der Legislative, das verbissene Ringen um Fußnoten und Spiegelstriche, all das bleibt unsichtbar, ungewürdigt. Und kein Kritiker berücksichtigt, wie viel Zeit es kostet, mehr oder weniger unproduktiv von Berlin in den Wahlkreis zu reisen und zurück, vor allem, wenn dieser Wahlkreis in Höchenschwand oder Wernberg-Köblitz angesiedelt ist.

Deshalb kann der Beitrag der modernen Technik zu einem neuzeitlichen Politikverständnis gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Vor allem das Online-Netzwerk Twitter erlaubt uns, in den Abgeordneten unserer Wahl direkt oben hineinzuschauen, und siehe, er ist ein Mensch wie du und ich in seiner alltäglichen Qual. Ulrich Kelber von der SPD beispielsweise: Er hat am gestrigen Freitag „schon 43 x den Witz gehört: Gute Rede zur Milchpolitik, kein Wunder bei Ihrem Namen“ und kommentiert das mit der verständlichen Frage: „Wo ist die Bartwickelmaschine?“ Oft erschwert die Obergrenze von 140 Zeichen die Verständlichkeit, dann kommen kryptische Buchstabenhaufen heraus wie: „SPD will CCS-Gesetz nächste Sitzungswoche im BT beschliessen“.

Noch munterer geht Julia Klöckner von der CDU mit Twitter um. Analogkäse, Abstimmungsmarathon, Schuldenbremse, Opel, Bad Banks, ein Themenmarathon, keine Atempause, Geschichte wird gemacht. Sie hat freilich auch die Axt an die Wurzel der neuen Mitteilsamkeit gelegt, als sie neulich ebenso wie Kelber das Ergebnis der Präsidentenwahl verschickte, noch bevor der Präsident selbst es wusste.

Nun wird bereits die Anschaffung eines Handy-Störsenders erwogen. Nicht auszudenken: Hunderte von Abgeordneten, die verzweifelt auf ihren Blackberry einpicken, eine Kanzlerin, die ihr wichtigstes Führungsinstrument einbüßt! Die deutsche Politik wäre praktisch in die Faustkeil-Ära zurückgeworfen, und das, da gerade die Jugend angesichts der neuen Möglichkeiten die Politik für sich entdeckt: „Meine Tochter will auch Politikerin werden“ – das hat gestern Thorsten Schäfer-Gümbel mitgeteilt, der Urvater aller twitternden deutschen Parlamentarier. Seine Tochter ist allerdings auch erst zehn und wird noch viel lernen müssen.

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