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Probesitzen. NDR-Intendant Lutz Marmor (links), Günther Jauch (Mitte) und ARD-Programmdirektor Volker Herres im umgebauten Gasometer in Berlin-Schöneberg.

© dpa

Talk: Die Revolution fällt aus

Von wegen Talkshow: Günther Jauch setzt bei „Günther Jauch“ auf evolutionäres Gesprächsfernsehen. Am Sonntag geht es los.

Die wieder und wieder kritisierte „Talkshow-Schwemme“ geht den Leuten in der ARD mittlerweile schwer auf die Nerven. Es wird deswegen eine neue Sprachregelung eingeführt. Wenn also „Günther Jauch“ am kommenden Sonntag im Ersten startet, kommt eine „politische Gesprächssendung“. Was genau der Unterschied zum Talk ist, wurde beim Pressegespräch am Montag in Berlin nicht offenbar. Die Aussagen von Jauch, NDR-Intendant Lutz Marmor und ARD-Progammdirektor Volker Herres in die Quersumme genommen, wird anderswo gequatscht und hier, am Sonntag um 21 Uhr 45, geredet. Höchstwahrscheinlich über „9/11“, wie Jauch ankündigte.

Der Moderator und Produzent der jährlich 38 geplanten Einstunden-Sendungen nähert sich der neuen Aufgabe mit eingestandenem Lampenfieber und einiger Demut. Der 55-jährige Journalist will die „übernatürliche Erwartung“, eine treffliche Beschreibung vom ARD-Kollegen Frank Plasberg, möglichst weit runterdimmen. Die Themen wollen seine Redaktion und er „aus den Dingen gewinnen, die in der Gesellschaft diskutiert werden“. Der Gesprächsgegenstand kann sich aus einem Jahrestag, einem Wahltag, aus einem durchlaufenden Sujet wie der Finanzkrise, aber auch aus plötzlicher Aktualität ergeben. Um Nähe wird es gehen, im Kern mehrheitsfähig, bodenständig. Mit Gästen will Jauch diskutieren, bei denen er „eine niedrige Toleranzschwelle anlegt“. Kommen kann, kommen soll, wer zum Thema passt, es können auch mal nur zwei Repräsentanten einer Partei sein. ARD-Chefredakteur Thomas Baumann stellte erneut in Abrede, dass Jauch unter den fünf Talks im Ersten während einer Woche der Primus inter Pares sei – bei der Wahl des Themas wie der Teilnehmer. Aber ob Bundeskanzlerin Angela Merkel wirklich anderswo auftauchen wird als beim „Fernsehkönig“?

Das Publikum an den Schirmen – Jauch will die „Anne Will“-Quote von vier Millionen „mit ein paar mehr Zuschauern“ durchaus toppen –, insbesondere aber die 300 Zuschauer im Studio könnten von der Kulisse überwältigt sein. Im ehemaligen Gasometer in Berlin-Schöneberg ist quasi ein kleiner Reichstag nachgebaut worden. Jauch nennt die Location zu Recht „mehr einen Ort als ein Studio“. Die vom Gebrauch rostig gewordenen Wände umlaufen die Zuschauertribühne und zwei kreisrunde, in Rottöne getauchte Plattformen, hinterfangen die stilisierten Bords mit „Günther Jauch“-Leuchtzeichen. Das Ambiente ist reduziert, der Zuschauer soll auch mit der Eröffnungssequenz der Sendung den Eindruck gewinnen, bei Jauch werde in einem mehr rauen als geleckten Milieu debattiert. „Hier ist Berlin, hier ist Geschichte“, betonte der Moderator. Mancher fühlte sich auch an ein „Jauch-Mausoleum“ erinnert. Es ist erheblich investiert worden. 10,5 Millionen Euro lässt sich die ARD ein Jahr „Günther Jauch“ kosten, 20 Mitarbeiter werden ständig mit der Sendung beschäftigt sein, die Jauch mit seiner Firma I & U produziert.

Es gibt wenig, was bei „Günther Jauch“ nicht an „Anne Will“ am Sonntag erinnert. Vier, fünf ockerfarbene Sessel auf Ebene eins öffnen sich zum Publikum, zwei, drei rote Sessel finden sich auf Plattform zwei; was bei Will die „Betroffenencouch“ war, das wird bei Jauch zur „Betroffeneninsel“ für Einzelgespräche.

Günther Jauch und die ARD planen zunächst ihre Zusammenarbeit auf eine Dauer von drei Jahren. Daran könne man erkennen, dass „die Sendung nicht die Eingangspforte in den Vorruhestand ist“, sagte Jauch. Er brauche zehn, 20 oder 30 Ausgaben Zeit, um am Konzept zu feilen. „Günther Jauch“ fängt jetzt erst mal an, ein unverwechselbarer „Günther Jauch“-Sound soll es nach und nach werden. Es werde eine „Evolution, aber keine Revolution“ geben. Jeder wisse mittlerweile, wie „ich Fernsehen mache“, sagte Jauch. Und er warnt vor „Experimentalfernsehen“. Planbar sei der Erfolg im Medium nicht, planbar sei der Erfolg nur bei Übertragungen der Fußball-WM.

NDR-Intendant Lutz Marmor, dessen Sender die Federführung beim Projekt „Gesprächssendung“ hat, bekannte, dass die Erwartungen hoch seien, mindestens ein Beitrag, ein Impuls für die politische Meinungsbildung sollte drin sein. Jauch bekomme den „Königsplatz“ unter den Talks. Der „Königstiger“ sieht es nicht anders. Ein eingeführter Sendeplatz am Sonntag nach dem „Tatort“ lasse keine Ausreden, keine Beschwerdemöglichkeit mehr zu. Angst hat Günther Jauch nur vor einem „Blackout, dass kein Signal rausgeht und die ARD statt dessen Florian Silbereisen sendet“.

Als Regisseur ist Volker Weicker verpflichtet worden, ein durch vielerlei Übertragungen bei einer Fußball-WM oder bei den „Kanzlerduellen“ ausgewiesener Liveregisseur. Sechs Kameras werden die Gäste plus Moderator einfangen, Aufgabe der Regie werde es sein, „über 97 Prozent Kopf-Aufnahmen“ das Gespräch zu dokumentieren.

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