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Bewegendes DDR-Drama in Sat.1: "Böseckendorf - Die Nacht, in der ein Dorf verschwand" am Dienstag, 22. September 2009, 20.15 Uhr

© Sat1

TV-DRAMA: Unser Dorf soll freier werden

Sat 1 erinnert mit „Böseckendorf“ an die Republikflucht eines DDR-Ortes.

Die Geschichte von Böseckendorf hätte man keinem Drehbuchautor abgenommen. 14 Familien mit insgesamt 53 Personen des thüringischen Dorfes kehrten im Oktober 1961 der Deutschen Demokratischen Republik den Rücken. Während die DDR-Staatsmacht bereits die Vorkehrungen für die Umsiedlung der aufsässigen Dorfbewohner in die Wege geleitet hatte, ja sogar schon die Transportfahrzeuge vorgefahren waren, gelang den Böseckendorfern in einer abenteuerlichen Nacht- und-Nebel-Aktion die größte Massenflucht aus der DDR. Das Verrückteste aber an der wahren Geschichte ist, dass daraus erst jetzt ein zudem bemerkenswerter Fernsehfilm entstand, der am Dienstagabend auf Sat 1 ausgestrahlt wird.

Der Film (Buch: Daniel Maximilian und Thomas Pauli, Regie: Oliver Dommenget) verlässt sich glücklicherweise auf die großen Gefühle, die mit der Entscheidung für die Republikflucht verbunden sind. Denn selbst eine geglückte Flucht bleibt immer noch ein Drama, gerade für diese bodenständigen Bauern, die sich so lange standhaft der Kollektivierung in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft verweigert haben. Nachdem sie von den Plänen für die Umsiedlung erfahren hatten, mussten sie nicht nur Hab und Gut hinter sich lassen, die Flucht zerriss zugleich enge Familienbande.

Während die Umstände der Flucht und die Pläne für die Umsiedlung historisch belegt sind, handelt es sich bei den Personen des Films um fiktive Figuren. Im Mittelpunkt steht die attraktive Tonia (Anna Loos), die offiziell als Lehrerin in der Dorfschule arbeitet, im unbezahlten Nebenberuf als Schleuserin Republikflüchtlingen über die Zonengrenze hilft. Tonia steht zudem im Zentrum einer Dreiecksliebesgeschichte: Ihr Ehemann Manni (Thure Riefenstein) ist der Bürgermeister des Ortes. Seine Liebe zu Tonia jedoch ist stärker als der Glaube an den Sozialismus. Auf der anderen Seite steht Tonias West-Freund Harald. Er nutzt den kleinen Grenzverkehr für ominöse Geschäfte mit SED-Bonzen und möchte Tonia mit Champagner und französischem Weichkäse erobern.

Sie alle kämpfen gegen die karrierefixierte Stasifunktionärin Jutta Marx (Rebecca Immanuel), die die Böseckendorfer angeblich auf den 12. Jahrestag der DDR- Gründung einstimmen will, tatsächlich aber die Umsiedlung vorantreibt. Und dann ist da noch die Verräterin in den eigenen Reihen der Nachbarschaft, die alles brühwarm an Parteileitung und Stasi weitergibt.

Die Ergänzung historischer Fakten mit fiktiven Filmelementen hat bereits im Sat-1-Film „Der Tunnel“ mit Heino Ferch funktioniert. In „Böseckendorf“ ist Anna Loos die Idealbesetzung. Ihre Glaubwürdigkeit hat einen Grund: Mit 17 Jahren ist sie selbst aus der DDR abgehauen. Die historischen Fahrzeuge aus der DDR sehen hingegen für den Alltag einer landwirtschaftlichen Region etwas zu poliert aus. Auch das Film-Böseckendorf ist zu idyllisch und erinnert an „Unser Dorf soll schöner werden“. Insgesamt tut dies dem Film jedoch keinen Abbruch.

Häufig nahmen die Fluchtversuche aus der DDR einen ganz anderen, tödlichen Ausgang, wie das ZDF ebenfalls am Dienstag mit der zweiteiligen Dokumentation „Flucht in die Freiheit“ zeigt, in der Originalaufnahmen eines Stasi-Kameramanns die gnadenlose Jagd der DDR-Staatssicherheit auf Republikflüchtlinge bezeugen. Im Juni 1962 graben zwei junge Männer einen Tunnel von Kreuzberg nach Ost-Berlin. Sie wollten ihre Familien in den Westen holen. Doch das Vorhaben scheitert, ein Stasispitzel hat sie verraten. Als sie den Kellerboden eines Ost-Berliner Wohnhauses erreichen, eröffnen DDR-Grenzsoldaten das Feuer auf sie. Einer der Freunde stirbt noch im Fluchttunnel, der andere wird schwer verletzt und landet für Jahre im Stasiknast Bautzen II.

Auf die Böseckendorfer wartet ein anderes Schicksal, wie die Sat-1-Dokumentation im Anschluss an den Film erzählt. Der Beitrag von Falko Korth und Thomas Riedel, die beide aus der ehemaligen DDR stammen, lässt die Zeit mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen noch einmal lebendig werden. Die Originalbeiträge unter anderem von NDR und SFB, der Kommentar des DDR-Fernsehens zum Mauerbau oder einfach die Bilder von Bauern, wie sie von Grenzsoldaten beim Arbeiten bewacht wurden, sie bringen das Geschehen in den Gesamtzusammenhang. Besonders beeindruckend sind die Zeitzeugenberichte, vor allem der des Ex-Grenzers. Noch immer freut er sich darüber, wie er einen Flüchtigen mit vorgehaltener Waffe von seinem Plan zur Republikflucht abgebracht hat.

Die Böseckendorfer fanden hingegen im Westen eine neue Heimat. Gerade einmal 30 Kilometer von ihrem alten Dorf entfernt wurde für sie die Siedlung Neu-Böseckendorf errichtet.

„Böseckendorf. Die Nacht, in der ein Dorf verschwand“, Sat 1, 20 Uhr 15; „Grenzfall Böseckendorf. Flucht in letzter Sekunde“, Sat 1, 22 Uhr 25; „Flucht in die Freiheit“, 20 Uhr 15, ZDF, zweiter Teil am kommenden Dienstag.

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