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Kulturell bunt. Andere Wurzeln führen zu anderen Erfahrungen, die wiederum zu anderen Sichtweisen, Ideen und Lösungsansätzen führen. 

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Mehr Vielfalt, bitte!: Wie kleine Firmen ihre Belegschaft diverser machen können

Große Firmen haben Abteilungen für Diversitätsmanagement, bei kleinen muss es ohne gehen. Mit den richtigen Tipps klappt es aber auch hier.

Es scheint ein geradezu schicksalhaftes Dilemma von Start-ups zu sein: Am Anfang sind die Gründer rund um die Uhr damit beschäftigt, ihr Unternehmen aufzubauen. Wächst die Nachfrage, müssen schnell neue Mitarbeiter her, rekrutiert wird aus den eigenen, eher homogenen Netzwerken.

„Diversität wird dann häufig erst ein Thema, wenn das Start-up weiter wächst und die Geschäftsführer plötzlich feststellen, dass von den zwölf Mitarbeitern im mittleren Management nur zwei Frauen sind“, sagt Franziska Teubert, Geschäftsführerin des Bundesverbands Deutscher Start-ups.

Die große Frage: Wie macht man homogene Belegschaften bunter?

Doch wie kommt man da wieder raus? Was macht homogene Belegschaften bunter, wie gelingt es mehr Diversität in Chefetagen und Teams zu bringen? Seit Jahren beschäftigt das viele Unternehmen in Deutschland, denn zahlreiche Studien belegen es: Gemischte Teams arbeiten innovativer und erfolgreicher.

So wird Vielfalt immer mehr zum Wettbewerbsfaktor. Fast 4000 deutsche Unternehmen haben seit 2006 die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet, nach der sie sich verpflichten, sich für ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld einzusetzen. Investoren fordern von Dax-Unternehmen, Diversität als einen Aspekt effektiven Personalmanagements in deren Reporting aufzunehmen.

Ende Juli gab VW bekannt, jährliche Bonuszahlungen an die Manager an Diversitätsziele zu binden. Doch nicht nur die großen Firmen haben das Thema auf ihrer Agenda, auch die kleinen, Arztpraxen, Start-ups und Handwerksbetriebe, kommen nicht darum herum.

„Weit mehr als Chancengleichheit“

„Diversität, das ist weit mehr als die Chancengleichheit von Frauen und Männern“, erklärt Annette Dietz, die beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln für Fachkräftesicherung zuständig ist. „Mitarbeitende unterscheiden sich auch hinsichtlich des Alters, der Nationalität oder des Familienstandes. Sie haben unterschiedliche Kompetenzen, Gewohnheiten, Freizeitverhalten, eine andere Arbeitsorganisation und Arbeitsinhalte“, sagt Dietz.

Fragen sie die Frauen, was sie brauchen, um eine verantwortungsvolle Position zu übernehmen

Annette Dietz, Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Diese Vielfalt an Meinungen, Perspektiven, Werten und Erfahrungshorizonten birge oft ungenutzte Potenziale, um neue Zielgruppen zu erreichen, neue Märkte anzusteuern oder neue Produkte zu entwickeln“, sagt Dietz. Das gelte für große wie für kleine Betriebe.

Letztere hätten es aber schwerer, entsprechende Ziele umzusetzen. Konzerne könnten sich ganze Diversitätsabteilungen leisten, kleine Firmen dagegen hätten selten die Kapazitäten, das Thema strategisch anzugehen.

Junge Teams brauchen Erfahrungswissen

Doch auch hier gibt es Stellschrauben für einen Wandel, sagt die IW-Expertin. Wolle ein Betrieb mehr Frauen in verantwortungsvolle Positionen bringen, sollten etwa erst einmal die Frauen in Mitarbeitergesprächen gefragt werden, was Sie brauchen, um eine verantwortungsvollere Position zu übernehmen. Stellenanzeigen sollten Bedürfnisse der Frauen thematisieren (beispielsweise flexible Arbeitszeiten), so dass sich Frauen davon angesprochen fühlen und sich eher bewerben.

Mitarbeiter:innen mit migrantischen Wurzeln wiederum könnten - wenn ihnen diese Fokussierung zusagt - für den Vertrieb in ihr Herkunftsland gewonnen werden. Zudem schafft ein offenes Ohr für andere Arbeitskulturen häufig neue Möglichkeiten der Arbeitsorganisation und spricht neue Zielgruppen an. Ältere Mitarbeiter:innen in Tandems den jungen ihr Erfahrungswissen weitergeben.

Wichtig auch: Bei der Stellenbesetzung sollten entsprechend der Unternehmensziele bestimmte Gruppen von Menschen angesprochen werden, Menschen mit körperlicher Behinderung, wenn es um eine Tätigkeit gehe, bei der Mobilität keine große Rolle spiele, ältere Mitarbeiter, wenn ein Team zu wenig altersgemischt sei.

Im besten Fall führt Vielfalt dazu, dass eine Bäckerei neue Produkte anbietet.

Constantin Terton, Handwerkskammer Berlin

Auch im Handwerk ist Diversität ein großes Thema. „ Neue Perspektiven sind eine Bereicherung. Im besten Fall führen sie etwa dazu, dass eine Konditorei oder Schneiderei neue Produkte anbietet“, sagt Constantin Terton von der Handwerkskammer Berlin.

Das ist ein Grund, warum mehr Diversität in den Betrieben so wichtig ist, der andere ist der Fachkräftemangel, die große Frage, wie Betriebe sich attraktiver aufstellen, um Azubis, Fachkräfte oder Unternehmensnachfolger zu finden. „Diversität ist für sie eine 'Überlebensgarantie'“, sagt Terton.

Klempnerin im Bild. Die Handwerkskammer will mit Kampagnen in den sozialen Medien neue Vorbilder schaffen.
Klempnerin im Bild. Die Handwerkskammer will mit Kampagnen in den sozialen Medien neue Vorbilder schaffen.

© K. Steinkamp/imago images/blickwinkel

Die Kammer unterstützt mit Beratungen zu Personalfragen, hat einen Diversitätswettbewerb für Unternehmen ausgeschrieben. Außerdem setzt sie auf Öffentlichkeitsarbeit, auf Kampagnen in sozialen Netzwerken, die Vorurteile abbauen, Frauen, Geflüchtete oder Quereinsteiger für das Handwerk interessieren sollen.

„Jeder ist willkommen“, sagt Terton. Warum sollen Frauen nicht in der Baubranche arbeiten, gibt er ein Beispiel. Dort würden die Beschäftigten ja nicht den ganzen Tag Betonsockel tragen. Die Arbeitsorganisation müsse von den Anforderungen her gedacht werden: Was macht ein Gewerk aus? Wen braucht man für welche Aufgaben? Entscheidende Einstellungskriterien solle Engagement und Geschick sein – und weniger das Erfüllen formaler Voraussetzungen.

Der alte Managertypus ist dem neuen zum Verwechseln ähnlich

Warum Start-ups häufig personell so homogen aufgestellt sind? Nach dem Bericht der Allbright-Stiftung von Mitte Juni liegt das daran, dass die Jungunternehmen den Konstruktionsfehler der vorhergehenden Generation wiederholen – und ohne Frauen wachsen.

Unter den Neulingen an der Frankfurter Börse dominiere ein Managertypus im Vorstand, der dem alten zum Verwechseln ähnele. Nur heiße er jetzt häufiger Christian und nicht mehr Thomas, habe nicht promoviert, sondern gegründet. „Wer erwartet hatte, dass neue Unternehmen auch neue Führungsstrukturen und mehr Vielfalt in die Börsenvorstände tragen, wird enttäuscht“, schreiben die Studienmacher.

Gründer sollten sich mit Beratern, Investoren oder Business Angels vernetzen, die nicht aus ihrem homogenen Umfeld kommen

Franziska Teubert, Bundesverband Deutscher Start-ups

„Es fehlt an Zugang und Netzwerken“, bringt es Franziska Teubert vom Start-up-Verband auf den Punkt. Es sei wichtig, dass sich Gründer diverser aufstellen, sich mit Beratern, Investoren, Business Angels vernetzen, die nicht aus ihrem homogenen Umfeld kommen und einen anderen Erfahrungshorizont haben, sagt Teubert.

Je diverser ein Führungsteam, desto diverser die Belegschaft

Außerdem gelte die Regel: „Je diverser ein Führungsteam, desto diverser wird die Belegschaft“, erklärt die Geschäftsführerin. Christian stelle Christian ein, weil man sich gut verstehe, man sich ähnlich sei. „Für Kleinunternehmen kann man aber keine Quoten einführen, um das zu ändern“, sagt Teubert. Damit Gründer für das Thema sensibilisiert werden, empfiehlt sie die Beratung Exist – und setzt auf Informationen und Daten zum Thema, die der Verein in einem Gründer-Monitoring zu Frauen und einem zu Migranten zusammengefasst hat.

Sie zitiert daraus: „Nur zwei Prozent der Investoren sind Frauen“, sagt sie. Männer, die in Start-ups investieren, würden dann auch eher in von Männern dominierten Netzwerken unterwegs sein – und männliche Kandidaten für Führungsjobs empfehlen. Staatliche Förderbanken wiederum müssten in mehr frauengeführte Start-ups investieren. Teubert fordert: „Schlüsselpositionen in Unternehmen, Wirtschaft und Politik sind diverser zu besetzen.“ Das führe dazu, dass buntere Netzwerke entstehen, die wiederum dafür sorgen, dass Vielfalt weitergetragen werde.

Frauen in der Arztpraxis. Das Personal ist hier meist sehr divers, nur Männer gibt es kaum.  
Frauen in der Arztpraxis. Das Personal ist hier meist sehr divers, nur Männer gibt es kaum.  

© imago images/Westend61

Eine Rentnerin, eine 16-Jährige, vier Frauen mit migrantischen Wurzeln: Unsere Schöneberger Praxis ist ein Spiegelbild der Gesellschaft

Ayse Linder, Hausärzteverband Berlin-Brandenburg

Beim Hausärzteverband Berlin-Brandenburg sieht man beim Thema Diversität hingegen keinen Handlungsbedarf. „Um Berliner Praxen bunt aufzustellen, braucht es keine Initiativen oder Kampagnen“, sagt die Ärztin und Vorständin Ayse Linder. Sechs Mitarbeiterinnen hat ihre Praxis in Schöneberg, darunter sind eine Rentnerin, eine 16-Jährige, vier Frauen mit migrantischen Wurzeln.

„Auch im Hinblick auf sexuelle Orientierung sind wir ein Spiegel der Gesellschaft. Anders kann eine Praxis gar nicht funktionieren“, meint sie. Sprache, interkulturelle Kompetenz, wissen, wie bestimmte Gesellschaftsgruppen ticken – ohne das könne nur schwer eine Nähe zu den Patienten aufgebaut werden.

Aus Genderperspektive gäbe es allerdings durchaus ein Ungleichgewicht, mehr als 60 Prozent der Berliner Hausarztpraxen werde von Frauen geführt, auch die Mitarbeitenden seien überwiegend Frauen.

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