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Matthias Kalle.

© Privat

Kolumne "Ich habe verstanden": Liebe statt Rumgezicke

Alle gegen alle: Thierse gegen Schwaben, Trainer gegen Spieler, die FDP gegen ihren Vorsitzenden. Ganz anders unser Kolumnist. Der hat seine Streitlust verloren - und findet inzwischen dieselben Dinge gut wie Hitler.

Ich könnte jetzt in dieser Kolumne lang und breit erklären, warum ich mit Sicherheit keine Kolumne über Wolfgang Thierse und den so genannten „Berliner Schwabenhass“ schreiben werde. Ich würde dabei furchtbar ungerecht und selbstgefällig werden und Mittel anwenden, die völlig unsachgemäß wären, zum Beispiel, dass eine Auseinandersetzung mit Wolfgang Thierse zunächst mal vor allem auch ein ästhetisches Problem ist. Dann würde ich aber ganz schnell überleiten zu einer Betrachtung des Themas „Langeweile bei wiederkehrenden Nichtthemen“ und dabei chronologisch beweisen, dass das Berliner Stadtmagazin „zitty“ bereits 2007 alles zum Thema „Berliner Schwabenhass“ aufgeschrieben hat.“

Ich würde dann trotzdem noch mal darauf hinweisen, dass bei aller Langweile und Abgestandenheit dieses Themas die ganze Biederkeit, die ganze Provinzialität, all das spießige, kleinbürgerliche, rassistische, gauleitermäßige von folgender Seite nicht kommt: den Schwaben. Und ich würde vielleicht sogar noch eine kleine argumentative Brücke bauen zum Thema „Schwaben und Geld“ und dabei darauf hinweisen, wem man früher so einen Hang zum Geld nachgesagt hat.

Jawoll – das alles würde ich machen, aber ich mache es nicht, denn die Leserinnen und Leser dieser kleinen Kolumne haben in dieser Woche etwas Besseres verdient und zwar: kein Rumgezicke. Denn nichts anderes ist ja das, was in den vergangenen Tagen so weggemeldet wurde, also: Thierse zickt gegen Schwaben, die van der Vaarts zicken gegen sich selbst, Fußballtrainier Mancini und sein Spieler Mario Balotelli zicken sich an, das Simon-Wiesenthal-Center zickt gegen Jakob Augstein, in der FDP zickt jeder gegen jeden, aber vor allem gegen den eigenen Vorsitzenden, in der RTL-Katastrophe „Der Bachelor“ zicken sich die Frauen an, Peer Steinbrück zickt gegen das Kanzlergehalt, alle zicken gegen das Wetter. Was soll das denn?

Das Jahr fängt ja gut an – wo man sich Harmonie wünscht, wächst die Zwietracht, es scheint fast so als würde es keinen Bereich des öffentlichen Lebens und Denkens geben, in dem mal zwei Menschen einer Meinung sind. Liegt das auch daran, dass 2013 im chinesischem Kalender das Jahr der Schlange ist?

Ich habe mich in meinem Leben eigentlich schon genug gestritten: mit den Eltern, mit den Lehrern, mit Frauen, mit Männern, mit Chefs, mit Angestellten, mit Taxifahrern und Kellnern. Tatsächlich gab es mal eine Zeit, da habe ich den Streit gesucht, da habe ich den Streit herausgefordert, aber da war ich auch noch jünger, da strotzte ich nur so voll Kraft. Und die ist jetzt irgendwie weg, verpufft, verbraucht. Ich merke sogar, dass ich keine Kraft mehr habe, mich gegen Richard Wagner zu wehren, über den ich jetzt ganz viel in der „Zeit“ gelesen habe. Und obwohl ich nie etwas gut finden wollte, was Hitler auch gut fand, höre ich seit Donnerstag ununterbrochen „Tristan und Isolde“, und zwar in der Fassung, die Karl Böhm 1966 in Bayreuth dirigierte. Ich bin mal gespannt, was das mit mir macht. In einem Interview mit Sir Simon Rattle, das in der „Zeit“ steht, sagt der Dirigent: „Als ich meinen ersten Tristan dirigierte, stand ein Eimer neben dem Pult: Ich hatte das Gefühl, das ist das Tollste, Irrste, was ich je erlebt habe – und gleich muss ich mich übergeben.“ Auf die Frage der Interviewerin Christine Lemke-Matwey, ob er Wagner liebe, ob Liebe das richtige Wort sei, antwortet Rattle: „Absolut!“

Wenn so also Liebe auch funktioniert, dann könnte man es ja vielleicht mal damit probieren. Klingt ja ganz spannend. Spannender als dieses Rumgezicke.

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