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Gastbeitrag: Atomkraft ist nicht Atomkraft

Sie fürchten sich vor deutschen, japanischen und französischen Atomkraftwerken. Vor russischen haben die Deutschen aber offenbar keine Angst, stellt unser Autor verwundert fest.

Der lupenreine Wechsel Gerhard Schröders vom Kanzleramt in die Führungsriege der Ostseepipeline stößt in Polen immer noch sehr bitter auf. Wenn ausgerechnet ein deutscher Spitzenpolitiker mit Moskau ein strategisches Energieversorgungsprojekt unter Umgehung Polens forciert, fühlen sich viele Polen an unrühmliche deutsch-russische Allianzen erinnert, deren Opfer ihr Land schließlich wurde.

Gegenwärtig deckt Polen etwa 80 Prozent seines Energiebedarfs aus der Steinkohleverbrennung. Gemäß den internationalen Abmachungen muss es den Kohleanteil jedoch radikal senken. Kompensieren könnte das Land dies zum Beispiel durch eine Umstellung auf Gaskraftwerke. Im Unterschied zu Deutschland bezahlt Polen jedoch die höchsten Preise innerhalb der EU für russisches Erdgas und verfügt kaum über Druckmittel, daran etwas zu ändern. Dazu stellt die vor dem Hafen in Swinemünde verlaufende russisch-deutsche Pipeline ein erhebliches Hindernis für große Schiffe mit geplanten Flüssiggaslieferungen aus Norwegen dar. Erneuerbare Energien aus Wind- und Wasserkraft sowie Photovoltaik und Biomasse könnten optimistischen Schätzungen zufolge den Bedarf Polens bis 2020 nur bis zu etwa 15 Prozent abdecken.

Die polnische Regierung sucht daher nach einer langfristigen Alternative. Dabei setzt sie vor allem auf die Atomenergie und die Gasförderung aus den Schieferschichten. Wegen der befürchteten ökologischen Schäden stoßen die Probebohrungen bei der Bevölkerung in den betroffenen Gebieten aber auf Widerstand. Und nach der Katastrophe in Fukushima sprechen sich immer mehr gegen die geplanten Atomkraftwerke aus. So ruhig in Polen diese Diskussion über die zukünftige Energieversorgung des Landes verläuft, so empörend empfinden viele Polen die Kritik aus dem Ausland an ihrer Energiepolitik – allen voran die aus Deutschland.

Tausende Ostdeutsche – im Zusammenschluss mit mehreren Öko-Gruppen – versuchen vehement, das „polnische Atomgespenst“ aus der Welt zu vertreiben. Gefährlich, so heißt es, seien die unweit von der Halbinsel Heia geplanten Akw, die Pläne unausgereift und die amerikanische, beziehungsweise französische Akw- Technik unzuverlässig. Und obendrein sei das alles zu nahe der deutsch-polnischen Grenze.

Auch aus Russland sind Bedenken gegen die polnischen Unabhängigkeitsbestrebungen bei der Energieversorgung zu hören. Noch bevor die Ergebnisse der ersten Schiefergasbohrungen überhaupt bekannt sind, warnt Moskau aber schon vor den ökologischen Risiken und Gefahren.

Und so sehen sich die Polen auf einmal, oder wieder einmal, von zwei Seiten mit Vorwürfen konfrontiert – wobei die deutsche Kritik viel lauter und unredlicher klingt. Denn in aller Ruhe des milden Winters entsteht derzeit im Königsberger Gebiet ein russisches Akw. Es soll sogar noch früher als die polnischen in Betrieb gehen, und seine Kapazität wird etwa das Vierfache des Eigenbedarfs der Region umfassen. Und genau darum geht es: Das russische Akw soll auch Strom nach Westen liefern, vor allem nach Deutschland.

Bemerkenswerterweise gibt es in Deutschland keine Massenpetitionen oder Proteste gegen diesen Bau, keine Appelle an die russische Regierung und keine öffentlichen Bedenken gegenüber der Zuverlässigkeit der russischen Technik. Dabei entsteht das russische Atomkraftwerk – im Maßstab eines Super-GAU – nur einen Steinwurf von den polnischen Akw- Standorten entfernt.

Vor einigen Wochen antwortete mir der Pressesprecher einer namhaften deutschen Umweltorganisation auf die Frage, warum niemand in Deutschland auch gegen das russische Akw protestiere, dass man nichts davon wisse, und außerdem existiere in Königsberg ja bereits ein Atomkraftwerk. Wenn schon der Vertreter einer Umweltorganisation mit so unterschiedlichem Maß misst und so schlecht informiert ist, ist von der politischen Führung in Deutschland kaum viel mehr zu erwarten. Enttäuschend jedoch, dass auch der deutsche Wutbürger, der so genau auf die polnischen Atompläne schaut, auf dem russischen Auge blind ist.

Der Autor ist Publizist und Journalist und lebt in Berlin.

Andrzej Stach

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