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Krise: Bundestag opfert Grundsätze des Strafprozesses

Der tollste Moment, um Politik zu machen, ist die Krise, jedenfalls für Politiker. Hier kann nur jemand etwas falsch machen, der nichts macht; alle anderen tun das Richtige, fast egal was.

Sie gehen in Gummistiefeln und tun so, als könnten sie geborstene Deiche flicken, sie bürgen für marode Firmen oder bezahlen Autofahrer dafür, neue Autos zu kaufen und alte zu verschrotten. Immer geht es um Kaputtes, immer gibt es Prämien – im besten Fall die Wählergunst.

Die deutsche Sicherheitspolitik ist seit dem 11. September 2001 in der Dauerkrise. „Vollendet“, sagt die Justizministerin, wurde am Donnerstag nur das Programm für diese Legislatur mit Strafen für Terrorcamp-Besucher, einer Kronzeugenregelung, dem Deal-Gesetz für Strafprozesse und anderem mehr. Später wird es weitergehen. Es ist Krisenpolitik, seit Jahren schon, es regiert das Krisengesetz von Wrack und Prämie.

Abgewrackt wird im Fall der Terrorlager der Rechtsgrundsatz, eine Tat müsse einer Strafe zugrunde liegen, nicht nur ein bloßer Verdacht. Gewiss – auch wer Taten vorbereitet, wird bestraft, doch die Tat als sozialschädliches oder aktuell gefährdendes Verhalten gehörte immer noch dazu. Künftig nicht mehr. Künftig sind es Internetsurfen oder Waffenputzen in irgendeinem Winkel der Welt plus böse Gedanken. Das Strafrecht richtet sich nicht mehr allein gegen Täter, sondern gegen „Gefährder“. Strafen wegen dieser Delikte werden überschaubar bleiben, sie interessieren nur am Rande. Es geht um die Prämie. Mit der Reform öffnet sich einer scharfer Überwachungskatalog. Nicht Richter sollen verurteilen können, sondern Ermittler besser ermitteln.

Abgewrackt wird im Fall der Kronzeugenregelung der Grundsatz schuldangemessenen Strafens. Wer verrät, darf Milde erwarten, obwohl er selbst nachgewiesen Schlimmes tat. Die erhoffte Prämie sind Informationen über Netzwerke und Strukturen, über die Ermittler bisher nur spekulieren können. Die erhoffte, wohlgemerkt. Täter könnten auch lügen, um sich auf Kosten anderer einen Nachlass zu erschleichen; eine verhängnisvolle Prämie.

Mit dem Deal schließlich wird der Grundsatz, in Strafverfahren die Wahrheit zu ermitteln, zu einem Schrottwürfel gepresst. An seine Stelle tritt eine Art Vertragsstrafrecht, das stark von den Perspektiven der Akteure bestimmt wird. Angeklagte wollen Milde, Staatsanwälte und Richter dagegen Fälle erledigen, die sonst Monate dauern. Als Prämie spart der Staat Zeit und Kosten.

Prävention und Ökonomie sind die wesentlichen Motive für die Strafrechtsreformen der vergangenen Jahre: Abwracken gegen die Krise. Das kann sinnvoll sein. So zeichnet das Deal-Gesetz nur nach, was im Gericht längst Alltag und auch nötig ist, um der komplexen Prozessstoffe noch Herr zu werden. Andererseits ist Krisenreaktion noch keine Politik. Irgendwann ist alles abgewrackt, sind alle Prämien verjubelt. Ist dann noch genug da? Gute Politik kann auch sein, trotz Krise mal nichts zu tun. Denn keine Krise dauert ewig.

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