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Peer Steinbrück hielt seit 2009 rund 80 Vorträge.

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Debatte um Nebenverdienste: Angriffe auf Steinbrück sind hysterisch und verlogen

Union und FDP setzen in der Debatte um Peer Steinbrücks Nebenverdienste auf billigen Populismus, meint unser Gastautor Christoph Seils. Ausgerechnet diejenigen, die seit Jahren die Neuregelung der Nebeneinkünfte blockieren, haben sich zur Attacke entschlossen.

Der Abgeordnete sprach von komplizierten Fragen, von einer schwierigen Abwägung und von angemessenen Regelungen. Er verwies auf das „Spannungsfeld“ zwischen Ausübung des Mandats, der Unabhängigkeit des Abgeordneten und der Berufsfreiheit. Er betonte die Verantwortung aller Bundestagsabgeordneten gegenüber dem Parlament und dem Parlamentarismus. Dazu klagte er über eine „hysterische, von Parteitaktik geprägte Debatte“. Den von den Regierungsparteien SPD und Grünen vorgelegten Gesetzentwurf zur Offenlegung der Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten lehnte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Norbert Röttgen, im Namen der schwarz-gelben Opposition ab.

Sieben Jahre ist das her. Seit einer Woche wird in der Republik nun wieder einmal über die Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten diskutiert. Wieder wird die Debatte von parteitaktischen Argumenten geprägt, wieder geht es hysterisch zu. Wieder fordern Politiker aller Parteien „volle Transparenz“ bei den Nebeneinkünften, doch auch diesmal darf bezweifelt werden, dass es dazu kommt. Stattdessen setzen vor allem Union und FDP auf billigen Nebenverdienstpopulismus und schaden damit um des kurzfristigen politischen Vorteils willen der politischen Kultur.

Seit einer Woche stehen die Nebeneinkünfte des frisch gekürten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück im Mittelpunkt der öffentlichen Aufregung. Der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, soviel scheint klar, hat sich seine Beliebtheit, sein Image und seine Fachwissen nach seinem Ausscheiden aus dem Ministeramt versilbern lassen. So machen es viele Ex-Minister und auch Ex-Kanzler. Dafür gebe es einen Markt, stellt Peer Steinbrück selbstbewusst fest.

Rund 80 Vorträge hat Steinbrück seit 2009 gehalten, zudem zwei Bücher geschrieben und damit recht ordentlich verdient. Neu ist dies nicht, dies alles war auch schon auf der Internetseite des Bundestages nachzulesen, fein säuberlich waren dort Steinbrücks Honorare nach den Regeln des Parlaments aufgelistet und den vorgegebenen Stufen 1.000 bis 3.500 Euro, bis 7.000 Euro und über 7.000 Euro zugeordnet. Dass diese Stufen-Regelung wenig praktikabel ist und vor allem höhere Einkünfte nicht erfasst, kann man dem SPD-Kanzlerkandidaten kaum vorwerfen.

Doch ausgerechnet diejenigen, die vor sieben Jahren die Bremser bei der Neuregelung der Nebeneinkünfte waren, die dafür sorgten, dass es nicht einmal wirksame Sanktionen wegen Verstößen gegen die Veröffentlichungspflichten gibt und die verhinderten, dass Abgeordnetenbestechung nach den Vorgaben einer UN-Konvention unter Strafe gestellt wird, haben sich zur Attacke entschlossen. Der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt nennt Steinbrück einen „Liebling der Spekulanten“ und ein „Produkt der Finanzmarktindustrie“. Patrick Döring, sein Amtskollege von der FDP, ätzt, bei Steinbrück würden „offenbar immer wieder alle Sicherungen durchbrennen, wenn es um den eigenen Vorteil geht“.

Weil der Kanzlerkandidat der SPD eine politische Angriffsfläche bietet, ist anders als vor sieben Jahren plötzlich auch die CDU dafür „mehr Transparenz zu Höhe und Herkunft von Nebeneinkünften von Abgeordneten zu schaffen", so ihr Parlamentarischer Geschäftsführer, Michael Grosse-Brömer. Statt drei soll es zukünftig sechs Stufen für die Kategorisierung von Nebeneinkünften geben, die höchste soll dabei im sechsstelligen Bereich liegen. Die Grünen fordern sogar zehn Stufen. Schon in der kommenden Woche könnte das Thema Nebeneinkünfte auf der Tagesordnung des Bundestages stehen.

Die Hektik ist dem beginnenden Wahlkampf geschuldet. Solange Steinbrück nur Ex-Minister und einfacher SPD-Abgeordneter war, haben dessen Nebeneinkünfte in der Öffentlichkeit und bei der politischen Konkurrenz kaum jemanden interessiert. Dass ehemalige Spitzenpolitiker ihren guten Namen im politischen Vorruhestand zu Geld machen, gehört quasi zu den ungeschriebenen Gesetzen der Politik. Die Ex-Kanzler Schmidt, Kohl und Schröder haben es so gehalten, auch der ehemalige Arbeitsminister Walter Riester (SPD), der grüne Außenminister Joschka Fischer und der Ex-Forschungsminsiter Riesenhuber (CDU). Die Übergänge zwischen neuer beruflicher Aufgabe, Lobbyismus und Dankeschön-Aufträgen sind dabei fließend.

Doch nun ist Steinbrück aus dem politischen Vorruhestand zurückgekehrt, er ist wieder ein sozialdemokratischer Hoffnungsträger und plötzlich muss er sich rechtfertigen. Die öffentliche Aufregung ist groß.

Lobbyismus ist nicht unanständig

Peer Steinbrück hielt seit 2009 rund 80 Vorträge.
Peer Steinbrück hielt seit 2009 rund 80 Vorträge.

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Dabei kann niemand den Bundestagsabgeordneten vorwerfen, dass sie einen Beruf haben, dass sie neben ihrem Mandat anderen Tätigkeiten nachgehen und niemand kann es ihnen verwehren. Zwar muss laut Abgeordnetengesetz das Mandat „im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Bundestagsabgeordneten“ stehen, dafür bekommt er seine Diäten, aber „Tätigkeiten beruflicher oder anderer Art“ sind neben dem Mandat zulässig. Abgeordnete sind eben keine staatlichen Amtsträger, denen eine Nebentätigkeit verboten ist, sondern sie sind Vertreter des ganzen Volkes. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil bestätigt. Aber die Karlsruher Richter haben auch festgestellt, das Volk habe Anspruch darauf zu wissen, „von wem – und in welcher Größenordnung – seine Vertreterinnen und Vertreter Geld oder geldwerte Leistungen entgegennehmen.“

Natürlich dürfen die Wähler wissen wollen, wie die Bundestagsabgeordneten ihr Geld verdienen, praktikablere Veröffentlichungsregeln als die geltenden sind dringend notwendig. Doch niemand kann von Politikern absolute Transparenz verlangen, etwa die Veröffentlichung von Verträgen, Steuererklärungen oder privaten Terminkalendern. Schließlich ließe dies tiefe Einblicke in die individuelle Lebensführung zu, selbst Ehepartner wären davon betroffen. Politiker haben zudem nicht nur das Recht auf ein Privatleben, sondern auch auf freie Berufsausübung. Und neben den berechtigten Interessen der Wähler gibt es deshalb auch für Abgeordnete schützenswerte Grundrechte, etwa das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Hinzu kommt, Rechtsanwälte, die neben dem Mandat weiter ihre Kanzlei führen, wird niemand zwingen können, ihre Mandanten preiszugeben. Für Selbstständige oder Freiberufler könnte es den Konkurs bedeuten, wenn sie ihre Auftragsbücher oder Verträge offenlegen müssten.

Die Forderung nach einem gläsernen Abgeordneten ist totalitär und undemokratisch. Sie schlösse zudem bestimmte Berufsgruppen von der aktiven politischen Betätigung und der Übernahme von Mandaten aus. Der Bundestag würde endgültig zu einem Parlament der Beamten, Lehrer und Berufspolitiker.

Im Übrigen wird der Lobbyismus auch nicht dort zur Gefahr, wo Ex-Minister Vorträge halten, meist vor einem großen Publikum und anschließend häufig für jedermann nachlesbar. Interessanter wäre es da schon, wenn man wüsste, in welchen klandestinen Zirkeln sich aktive Politiker und Interessenvertreter in der Hauptstadt begegnen, wo finanzstarke Interessengruppen direkt in Ministerien hineinwirken oder gar an Gesetzestexten mitschreiben. Der Bundestag könnte zum Beispiel ein Lobbyregister einführen und Lobbyisten dazu verpflichtet werden, ihre Einnahmen, ihre Kunden und die Themen, zu denen sie arbeiten, offenzulegen.

Doch genauso wenig wie die Nebentätigkeit von Bundestagsabgeordneten lässt sich der Lobbyismus verbieten. An ihm ist im Übrigen auch gar nichts Ehrenrühriges. Interessenverbände und die organisierte Einflussnahme auf politische Entscheidungen gehören vielmehr zur politischen Willensbildung, sie sind in einem demokratischen Gemeinwesen eine Selbstverständlichkeit. Dass daraus ein Spannungsverhältnis entsteht, muss die Demokratie aushalten. Wer stattdessen die Debatte über die Nebeneinkünfte des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück so hysterisch, populistisch und verlogen führt, wie Union und FDP in den letzten Tagen, muss sich nicht wundern, wenn die Politik- und Politikerverdrossenheit weiter zunimmt.

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