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Bild einer Familie: Die Kohls 1975 im gemeinsamen Sommerurlaub in St. Gilgen in Österreich.

© dpa

Konservative Gesellschaftspolitik: Die Ära Kohl: Ein düsteres Familienbild

Von polarisierenden Positionen in der Gesellschafts- und Familienpolitik ist fast nichts geblieben. Das zeigt, wie weit wir uns entfernt haben vom Familienbild der Ära Kohl. Ein Bild, das damals normal erschien, heute aber erschreckend düster wirkt.

Die Fortsetzung der Kohlschen Familiensaga hat einen düster-tragischen Zug. Tragisch ist – das große Wort sollte bei einem großen Politiker gestattet sein – der Zerfall seiner Familie. Das betrifft nicht nur den alten Mann, der nach allem, was man weiß, ein Pflegefall ist, wie so viele aus seiner Generation. Es betrifft seine Söhne im, wie man sagt, besten Alter, die in diesem Alter wie gequälte Söhne wirken. Tragisch ist auch der Zerfall von Kohls über Jahrzehnte herausgearbeitetem Selbstbild. Das macht den innerfamiliären Streit über Kohl, seine erste Frau Hannelore, seine zweite Frau Maike und das Zerwürfnis zwischen ihr und Kohls Söhnen über allen Polit- Voyeurismus hinaus zum Gesellschaftspolitikum.

Ehe, Familie, Kinder, Schutz und Förderung dieser „Keimzelle“ der Gesellschaft durch Betonung ihrer Einzigartigkeit, durch das Ehegattensplitting und die Eigenheimzulage – man konnte das alles schon in den achtziger Jahren falsch finden, altmodisch und gestrig. Fest steht aber auch, dass der konservative Patriarch für wohlgenährte Mehrheiten in der nicht überall nur progressiven Bundesrepublik gut war. Das Polit-Massiv aus der Pfalz schien zu leben, was es seiner Partei gesellschaftspolitisch eingeschrieben hatte. Seine konservative Vorstellung von Gesellschaft, ihre Ableitung aus zeitlosen „Werten“, ihre Statik verlieh der Union die Fähigkeit, Menschen zu beheimaten und ihnen Sicherheit in (weltpolitisch) spannenden, kontroversen Zeiten zu vermitteln. Kohls Sprache mag verschwiemelt gewesen sein, sein Weltbild war klar – auch für seine Gegner, ob es Streiter für alternative Lebensformen waren, Eheskeptiker, Abtreibungsbefürworter oder bewegte Frauen.

Von polarisierenden Positionen in der Gesellschafts- und Familienpolitik ist fast nichts geblieben. Das zeigt, wie weit wir uns entfernt haben vom Kohlschen Familienbild. Ein Bild, das damals normal erschien, heute aber düster wirkt: von einem Patriarchen, der sein Wertegerede selbst nicht so wichtig nahm wie Parteifreunde und Gegner. Für die Werte, die man mit Kohls CDU mal in Verbindung brachte, treten seine Polit-Enkel nicht mehr ein. Der Schutz der Ehe und ihre Förderung sind während des in strammem Tempo absolvierten Wegs der CDU in die angebliche Mitte auf der Strecke geblieben. Angela Merkel und mit ihr alle, die in der postmodernen CDU programmatisch wirken, befördern die Gleichstellung der Lebensformen und -modelle. Die „Herdprämie“, das einzige und miserable Relikt einer vorgeblich konservativen, in Wirklichkeit staatsfixierten Familienförderung, erfreut die selbstbewussten Frauen der Union sicher nicht mit Stolz, bloß den pseudo-konservativen Horst Seehofer von der CSU.

Aber was soll’s, sind nicht fast alle in Europa und Amerika für die Homo-Ehe und das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare? Sollten sich nicht gerade Männer darüber freuen, wenn Frauen mehr arbeiten, dann bleibt mehr Zeit für Spaß mit den Kindern und für Sport? Was ist gegen das Dogma der Gleichheit zu sagen, das heute die Gesellschaftspolitik so regiert wie früher Patriarch Kohl? Vielleicht ist es die scheinbare Alternativlosigkeit dieser Politik, die den großen Unterschied zu Kohls Zeiten ausmacht. Der staatliche Regelungs- und Fürsorgedrang – auch das zeigt sich am „Betreuungsgeld“ – geht immer weiter. In der Union stellt ihn niemand mehr infrage.

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