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Meinung: Die Linke im Kyffhäuser

Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, wie sie leiden – zur Rückkehr von Lafontaine

Oskar Lafontaine ist kein Politiker mehr, er ist eine Metapher. Er steht für die Sehnsucht der (nicht nur) sozialdemokratischen Linken nach übergreifenden Konzepten, nach einer Weltanschauung, nach einer Politik, für die man sich noch begeistern kann. Kurzum: für das Gegenteil von Schröderismus. Insofern lässt sich schon nachvollziehen, dass bereits die vage Idee, Lafontaine könne in die Politik zurückkehren, in der SPD anhaltend Furcht und Freude auslöst.

So sehr man diese Sehnsucht verstehen kann, so wenig lässt sich doch übersehen, dass sie vor allem sentimental ist. Schließlich steht die Metapher Lafontaine noch für etwas anderes: Er wurde seit seinem Rücktritt vor vier Jahren zum hauptberuflichen Anwalt seiner selbst, zum Rechthaber, zu einem Mann, der sich in seinem Gedankengebäude eingeschlossen hat.

Das scheint der Preis zu sein, den der zu zahlen hat, der sich noch eine zusammenhängende linke Theorie leistet. Lafontaine hat sich mit seiner Globalisierungskritik und seinem Keynesianismus abgeschottet gegen die Notwendigkeit, in Deutschland mehr Wettbewerb, weniger Regulierung und mehr Freiheit zu wagen. So vernünftig das eine oder andere bei ihm klingt – das meiste würde unser Land noch tiefer in die Verkrustung führen. Und die Linke ins Abseits.

Wo sie eh schon ist und auch hingehört, könnte man hinzufügen, wenn man böse wäre. Tatsächlich braucht man eine große Lupe, um in der SPD noch eine Linke zu finden. Michael Müller und Hermann Scheer schreiben ausladende, intelligente und tapfere Papiere. Ottmar Schreiner sagt immer mal was gegen das, was er als Sozialabbau ansieht. Und die Jusos, die gibt es auch noch.

Und sonst? Sonst ist offenkundig, dass die SPD-Linke in den letzten Jahren in eine dreifache Krise geraten ist. Zum einen hörte sie mit dem Einzug der revolutionären Globalisierung auf, progressiv zu sein und wurde konservativ, wollte von Sozialsystemen und Tarifrechten möglichst viel verteidigen. Mittlerweile, und das verschärft das Problem, merken die Klügeren unter ihnen, dass die starre Verteidigung des Systems erst recht zu dessen Erosion führt. Und drittens leiden sie am unsteten, diskursfeindlichen Stil von Schröder. Je kurzatmiger und situationistischer er sich verhält, desto länger werden ihre Papiere und ihre Gesichter.

Manche vermuten trotzdem, dass die SPD-Linke nicht tot ist, sondern nur schläft. Und irgendwann gestärkt zurückkehren wird. Die Linke im Kyffhäuser mit Lafontaine als Kaiser Barbarossa – ein schöner Gedanke. Wäre nur die Frage, wann diese Rückkehr kommen wird. Besonders stark hoffende Restlinke glauben: nächste Woche. Der neue, neoliberale Kurs von Schröder wurde zwar von Müller und Scheer bisher nur mit verschärftem Stirnrunzeln quittiert. Aber, so die Hoffenden, nur wegen der Landtagswahlkämpfe. Nach der mutmaßlich katastrophalen Niederlage am Sonntag jedoch wird die Linke aus dem Berg brechen. Sie wird sagen, dass die Niederlage auf den heftig angekündigten Reformkurs zurückzuführen sei. Daraufhin kommt das Kanzleramt in die pikante Situation, behaupten zu müssen, dass es am selbst gemachten Chaos gelegen habe, in dem die neue Linie noch gar nicht sichtbar geworden sei.

Was in einem solchen Streit entstehen könnte, wäre allerdings nur wieder eine restaurative Linke, ein auf alle Politikbereiche ausgedehntes Verdi-Denken: mehr Geld für alle, auch wenn es gar nicht da ist; Verteidigung eines Status quo, der schon längst verloren gegangen ist. Da werden dann aber außerhalb der SPD fast alle hoffen, dass die Reform-SPD um Gerhard Schröder (oder um Wolfgang Clement) diesen Kampf gewinnt.

Hat sich die Linke damit erledigt? Nur wenn es tatsächlich keine linken Antworten auf die deutsche Misere gibt. Wenn also die Überwindung der Krise nur mit einer Überwindung des linken Sozialdemokratismus in der SPD und in den Deutschen möglich ist. Das kann so sein, muss es aber nicht. Denn das Wie der Deregulierung, das Wie der Wende zum weniger kann theoretisch durchaus wieder linke und rechte Ausprägungen haben, so wie es grüne und konservative hat.

Nur wäre eine solche Linke beweispflichtig, dass es sie gibt, dass sie mehr will als nur festhalten. Sie müsste das Debattieren wieder anfangen in einer geistig fast schon verhungerten SPD. Das könnte wirklich interessant werden. Und wen es zunächst nicht interessiert, der könnte trotzdem leicht erkennen, ob sich ein zweiter Blick lohnt: Wenn Oskar Lafontaine in dieser Debatte eine große Rolle spielt, dann geht es mehr um seine Vergangenheit als um unsere Zukunft. Er bleibt eben doch – eine Metapher.

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