zum Hauptinhalt
Für 95 Prozent der Menschen im Land, gäbe es keine Veränderung

© dpa/Fernando Gutierrez-Juarez

Diskussion über das Elterngeld: Hört auf, so zu tun, als ginge es um die Mittelschicht

Es geht in der Debatte um die Elterngeldkappung nicht um die Mitte der Gesellschaft. Dass der Eindruck entsteht, ist fatal.

Ein Kommentar von Valerie Höhne

„Ein ganz schlechtes Signal“ findet die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen. CSU-Politikerin Dorothee Bär sagte gar, Familienministerin Lisa Paus, Grüne, sei „gegen Kinder“.

Scrollt man durch soziale Netzwerke, bekommt man den Eindruck, ein Großteil der Familien in Deutschland wären von einer Elterngeldkappung ab einem zu versteuernden Einkommen von 150.000 Euro betroffen. Diese wird im Zuge der Haushaltsverhandlungen der Bundesregierung diskutiert, weil FDP-Finanzminister Christian Lindner sparen will.

Nun wirkt es, als habe Lindner, die Rolex am Handgelenk, gemeinsam mit Paus, den Rotstift erst einmal bei jungen Paaren mit kleinen Kindern in der Mitte der Gesellschaft angesetzt. Dieser Eindruck ist verheerend – und er täuscht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Denn es geht nicht um die Mittelschicht. Die Einkommensgrenze von 150.000 Euro, die die Ampel kommuniziert hat, ist verwirrend. Es handelt sich dabei eben nicht um das Brutto-Jahresverdienst, sondern um das Einkommen, das versteuert werden muss. Abgezogen davon sind bereits diverse Freibeträge, das Familienministerium rechnet mit einer Kappung ab einem Brutto-Haushaltseinkommen von 180.000 Euro.

Es geht um Paare, die sich Eigenverantwortung leisten können

Das ist, in den allermeisten Fällen, die Oberschicht. Es geht um Paare, die offenbar schon recht früh in ihrer Karriere zu den Top-5-Prozent der Verdiener gehören. Die es sich leisten können, vorzusorgen. Die wählen können, ob sie in einer Vier-Zimmer-Wohnung in München-Schwabing, einer Fünf-Zimmer-Wohnung in Berlin-Prenzlauer Berg oder doch woanders wohnen. Die, unabhängig von Elterngeld, einen Kinderwagen für 1000 Euro kaufen, weil es ja doch das Beste für die Hüften der Kleinen sei. Kurzum: Die sich Eigenverantwortung und Prioritätensetzungen leisten können.

Doch die Diskussion droht, sich zu verselbstständigen, und auf einmal könnten sich viele mitgemeint fühlen, die fest mit dem Elterngeld kalkulieren, um sich in existenziellen Fragen wie Wohnen abgesichert zu fühlen. Sie empfinden es als ungerecht, wenn die obersten fünf Prozent nicht länger Elterngeld beziehen dürften.

Wo bleibt der Aufschrei bei der Kindergrundsicherung?

Dabei wird derzeit in der Ampel-Regierung nicht nur um das Elterngeld gerungen, sondern auch um die Kindergrundsicherung, die armen Kindern mehr Chancen eröffnen soll. Echte Leistungsverbesserungen lehnen Finanzminister Lindner und die FDP ab, dafür gebe es keine Spielräume im Haushalt. Ein ähnlicher Aufschrei wie bei der Herabsetzung der Elterngeldgrenze ist aber nicht zu vernehmen.

Das verstärkt den Eindruck: Die obere Mitte, zu der meist auch diejenigen gehören, die die öffentliche Meinung im Land abbilden, solidarisiert sich lieber mit der Oberschicht als mit Menschen, die weniger Geld haben. Dabei ist das Gefühl in der Gesamtbevölkerung durchaus ein anderes. Laut „Familienbarometer“ gaben 70 Prozent der Befragten im März dieses Jahres an, dass sie von der Politik erwarten, etwas gegen Kinderarmut zu tun.

Möglicher Nebeneffekt: Ein gesellschaftlicher Rollback

Es gibt nun zwei Bilder, die von der Debatte im kollektiven Gedächtnis klebenbleiben könnten. Eines ist, dass die Meinungsmacher (und Macherinnen) im Land sich so weit von der Mittelschicht entfernt haben, dass sie nicht bemerken, dass die Elterngelddebatte für rund 95 Prozent der Menschen im Land keine größere Bedeutung hat.

Oder aber, zweites Bild, ebendiese Mittelschicht glaubt, durch das Signal der möglichen Elterngeldkappung, sie könnte, wenn nicht jetzt, dann doch bald, von den Sparmaßnahmen betroffen sein, und die Regierung lasse Familien mit Kindern in schwierigen Zeiten allein.

Letzteres hätte einen potenziell gefährlichen Nebeneffekt: In Zeiten von Unsicherheit lässt sich oft, wie zum Beispiel während der Corona-Pandemie, ein Rollback in traditionelle Rollenbilder beobachten. Frauen, die in Teilzeit gehen, wenn sie Kinder bekommen, oder sich gleich aus dem Arbeitsmarkt verabschieden. Die dadurch Macht verlieren – sowohl in ihrer Beziehung als auch in der Gesellschaft.

Beide Bilder haben eines gemein: Sie sind für die Stimmung in der Gesellschaft schlecht. Die Kommunikation der Ampel-Koalition war, wieder einmal, ein Desaster. Die Regierung schafft es mit schlafwandlerischer Sicherheit, Debatten so zu führen, dass größtmögliche Verunsicherung entsteht. Sie wäre gut beraten, noch diese Woche einen Kompromiss auszuhandeln. Sonst drohen größere gesellschaftliche Verwerfungen, als dem Thema angemessen wären.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false