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Europa: Über die Kammern hinweg

Merkels und Sarkozys Pläne für mehr Zentralisierung treiben die Entmachtung der nationalen Parlamente voran.

Nun soll es eine Schuldenbremse in den Verfassungen der Euro- Staaten richten. Ein schöner Vorschlag, den Angela Merkel und Nicolas Sarkozy da gemacht haben. Doch er mutet seltsam an angesichts der Tatsache, dass es diese Schuldenbremse längst gibt: 1996 haben die Mitglieder des neuen Währungsraums verbindlich und dauerhaft vereinbart, die Stabilität des Euro zu sichern, indem sie die Gesamtverschuldung nicht über 60 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts steigen lassen und ihre jährliche Neuverschuldung unterhalb von drei Prozent halten.

Dieser Stabilitätspakt hat quasi Verfassungsrang. Gerade Deutschland und Frankreich haben sich aber wenig daran gehalten – ihre Schulden stehen heute bei weit über 80 Prozent. Ob Schuldengrenzen in den Verfassungen eine größere Wirkung haben werden als der Euro-Vertrag, darauf darf man hoffen, die Erfahrung lehrt, dass die Verhältnisse möglicherweise nicht so sind.

Das hat auch mit dem Leichtsinn der nationalen Parlamente zu tun, die für das Schuldenmachen verantwortlich waren und sind. Sie sollten daher den Vorschlag einer Wirtschaftsregierung in Form einer institutionalisierten Ministerrunde der Euro-Regierungen sehr ernst nehmen. Und zwar als Gefahr. Die Wirtschaftsregierung ähnelt den deutschen Ministerkonferenzen. Diese dienen der Koordinierung der Exekutiven. Das Instrument hat freilich einen Haken: Die Beschlüsse werden den Parlamenten gern als unverrückbare Tatsachen vorgelegt.

Die Gefahr des Umgehens und der Gängelung der nationalen Parlamente durch ein Gremium auf Euro-Ebene liegt auch in der Rompuy-Runde. Die Wirtschaftsregierung wird in das Königsrecht der Parlamente tief eingreifen: in die Etat- und Steuerpolitik. Da absehbar ist, dass sich die Euro-Staaten nicht zuletzt durch höhere Steuern aus ihrem Schuldenschlamassel befreien wollen, ist die Wirtschaftsregierung aus Sicht der nationalen Exekutiven eine feine Sache, Widerstände in den Parlamenten auszuschalten. Wenn die Kammern in Paris, Berlin, Rom oder Madrid in ihre Zukunft schauen wollen, müssen sie nur die Geschichte der deutschen Landtage studieren – es ist der Blick auf eine schrittweise politische Verelendung.

Aber im Gegensatz zu den entmachteten Landtagen haben es die nationalen Parlamente noch in der Hand, dem entgegenzuwirken. Sie müssen dafür aber ihre jahrzehntelange Praxis korrigieren. Sie müssen an die Ursachen der Verschuldung herangehen. Die liegen nicht in den temporären Finanzkrisen, Immobilienblasen und Bankenrettungsprogrammen. Die Ursache ist die Mitte des vorigen Jahrhunderts begonnene Unkultur des Schuldenmachens auch in wirtschaftlich guten Zeiten, einer Politik, die es für normal hält, dass man dauerhaft mehr ausgibt als man einnimmt. Es liegt nun an den nationalen Parlamenten, über eine kluge Mischung aus Einnahmenverbesserung und – mit deutlichem Schwerpunkt – Ausgabenkürzung den Weg aus der Krise zu finden. Schuldengrenzen können die nötige Selbstdisziplin stärken. Gelingt die Abkehr vom verfehlten Politikmodell nicht, könnte eine der nächsten Krisen in Europa – eine der Parlamente sein.

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