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Eine Holzbank mit der Aufschrift "Willkommen" auf dem Gelände der Erstaufnahmestelle in Suhl.

© dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Wir brauchen ein Integrationsministerium!

Eine Staatsministerin für Flüchtlinge gibt es. Was wir aber brauchen, ist ein eigenes Ministerium, das sich um die Angekommenen kümmert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Eine Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration gibt es in der Bundesrepublik. Heißt das aber auch, dass das Land, dass die Regierung ausreichend vorbereitet ist – politisch und planerisch – auf die Lösung eines gewaltigen Problems?

Ein wichtiges organisatorisches Detail könnte dafür sprechen: Immerhin wird Aydan Özoguz, die Amtsinhaberin, nicht einfach nur einem Ressort zugeordnet, sondern der Bundeskanzlerin höchstpersönlich attachiert.

Aber als die sympathische und tüchtige Hamburgerin im Dezember 2013 ihr Amt antrat, war allenfalls zu ahnen, welche Flüchtlingsbewegung der brutale kriegerische Konflikt im Mittleren Osten auslösen könnte. Erst ab Mitte 2014 gab es von Frontex Warnungen und, etwas später, vom Bundesamt für Migration geradezu flehende (und unerhörte) Bitten nach mehr Personal.

Dann verging mehr als ein Jahr, bis die Zahl der Flüchtlinge und ihre katastrophale Situation auf dem Weg über den Balkan Richtung Österreich jenes Ausmaß erreichte, das am 4. September Angela Merkel dazu brachte, praktisch alle Einreisekontrollen auszusetzen. Nun wissen wir: Mehr als 1,1 Millionen Menschen sind im Jahr 2015 in Deutschland auf der Suche nach einem neuen, besseren oder nur friedlichereren Leben angekommen.

Brauchen wir einen Integrationsminister, eine Integrationsministerin?

Reicht angesichts dieser Zahlen und der Dimension des Geschehens also heute noch eine Staatsministerin für die Bewältigung und Lösung der Probleme aus, die eine solche gewaltige Migrationswelle mit sich bringt? Brauchen wir nicht eine Ministerin, einen Minister, der sich um nichts anderes kümmert als um die mehr als eine Million Flüchtlinge?

Wer die Frage bejaht, und dafür gibt es gute Argumente, muss sich klar sein, dass eine solche Ministerin oder ein Minister ohne entsprechende Rückkoppelung in den Ländern wie die berühmte Zirkusdame ohne Unterleib wäre. Wie gehen die Bundesländer mit der Flüchtlingsfrage um? Wie sieht es da zur Zeit aus?

Die Integration ist eine Generationenaufgabe. Die Länder schaffen das nicht aus eigener Kraft. Der föderale Flickenteppich im Bildungssystem, bei der Beamtenbesoldung, beim Austausch von Polizeidaten etc. beweist das. Das Zuständigkeitsgerangel kostet Zeit, Geld und Nerven.

schreibt NutzerIn IngoJohn

Nur Baden-Württemberg hat bislang, mit der Berlinerin Bilkay Öney, eine hauptamtliche Ministerin für Integration. In Bayern ressortiert die Aufgabe beim Sozialminister, in Berlin bei der Senatorin für Arbeit und Frauen, ähnlich ist die Situation in Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen. Wenn man von der Homepage des jeweiligen Ministers auf die Ernsthaftigkeit schließen will, mit der sich die Amtsinhaber um das Sachgebiet kümmern, kann man nur in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz guten Mutes sein. In den anderen Ländern läuft das Thema erkennbar nebenbei.

Aufteilung von Kompetenzen heißt oft Verschleppung von Lösungen

Für die Einrichtung eines Ressorts mit Kabinettsrang sprechen die klassischen Erfahrungen mit Verwaltungen und ihren gewaltigen retardierenden Elementen. Wenn sich das Innen- und das Sozialministerium, das Justiz- und das Arbeitsministerium, die Ressorts für Gesundheit, Jugend, Senioren, für Wohnungsbau und Verkehrsplanung miteinander abstimmen müssen, wird immer erst einmal vorsichtig abgewogen, gegen Risiken rückversichert, Verantwortung delegiert, lieber geprüft als entschieden. Aufteilung von Kompetenzen und Sachgebieten zwischen zwei oder mehreren Ressorts heißt beim Staat fast immer: Verschleppung von Lösungen.

Also eben doch ein Integrationsminister? Das wird ein Job auf dem Schleudersitz. Für den Erfolg dort wird man bei Wahlen kaum belohnt – da stimmen ja nicht Migranten, sondern Deutsche ab. Was müsste das für ein Menschentyp sein? Er (sie) müsste die Durchsetzungsfähigkeit der Innenminister Otto Schily und Wolfgang Schäuble haben, die Empathiebegabung der früheren Ausländerbeauftragten Barbara John. Dazu um Hilfe betteln können wie Pfarrer Hans-Georg Filker, der überaus erfolgreiche Ex-Chef der Berliner Stadtmission. Gut wäre das Organisationstalent von BVG-Chefin Sigrid Nikuta, mitreißend sein zu können wie Klaus Wowereit in seinen besten Tagen wäre hilfreich, und Geld lockermachen können wie Kunstförderer Peter Raue bei seinen Aktionen für die Freunde der Nationalgalerie auch.

Es lohnt sich ein Blick auf den Posten des Umweltministers

Die Frau, den Mann gibt es nicht? Manchmal hilft ein Blick zurück. Schon einmal hatte die Bundesrepublik mit der, aus der Situation geborenen Einrichtung eines neuen Ressorts großen Erfolg. 1986 wurde nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl das Umweltressort geschaffen. Geprägt wurde das Amt bis heute nicht vom ersten Stelleninhaber, Walter Wallmann, sondern vom zweiten, Klaus Töpfer, Minister von 1987 bis 1994. Seine Nachfolgerin war Angela Merkel.

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