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Der Deutsche Bundestag – Herz demokratischer Debatten im Land.

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Gegen die Selbstzersetzung deutscher Politik: Die größte Stärke der Demokratie darf nicht zur Schwäche werden

Die Demokratie wird von außen und innen getestet. Die deutsche Gesellschaft scheint aber nur bedingt abwehrbereit. Das zeigt die Aufgeschrecktheit der letzten Wochen.

Ein Kommentar von Julius Betschka

Die vergangenen Wochen haben Kraft gekostet, viel politisches Kapital und Vertrauen zerdeppert. Das gilt innerhalb der Bundesregierung, aber auch für Opposition und die Öffentlichkeit als Ganzes. Es sind Festtage der Maßlosigkeiten, los Wochos für politisch Aufgeschreckte. Autokraten wie Putin dürften maliziös grinsen.

Eine knappe Debattenschau der vergangenen Wochen: Wer sich gegen die Lieferung von Taurus an die Ukraine ausspricht, gilt als Putin-Versteher oder alternativ als Feigling. Wer dafür plädiert, wird als Kriegstreiber dargestellt. Wer auf Tod und Hunger in Gaza hinweist, muss sich rechtfertigen für angebliches Verständnis für Terror der Hamas. Wer die Schändungen von Frauen am 7. Oktober anklagt, relativiert damit angeblich die Not der Palästinenser.

Die deutsche Öffentlichkeit wirkt bedingt abwehrbereit

Man kann das Phänomen thematisch problemlos weiten: Wer Abschiebungen nach geltendem Recht umsetzen will, meint eigentlich Deportationen. Wer gegen die Bezahlkarte argumentiert, setzt die Sicherheit Deutschlands aufs Spiel – und so weiter und so fort … Politik und Öffentlichkeit wirken hypernervös. Je ernster die Weltlage scheint, desto deutlicher zeigt sich, wie leicht sich die größte Stärke der Demokratie, die freie Meinungsbildung, zur Schwäche verkehren lässt. Die deutsche Öffentlichkeit scheint: bedingt abwehrbereit.

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Und das inmitten eines Informationskrieges gegen Demokratiefeinde. Wladimir Putin testet die Demokratie von außen, genau so tun es vor allem rechtsextreme Akteure (aber auch andere Extremisten) von innen. Durch das Bezahlen von Influencern und vermeintlichen Journalisten, durch Falschinformationen und Propaganda in den sozialen Medien, durch Hacker-Angriffe auf die Infrastruktur und durch Geheimdienstoperationen, wie das abgehörte Gespräch von Bundeswehrgenerälen. Das Ziel: Zersetzung.

Das Internet erleichtert Zersetzungsprozesse, wo frühe Geheimdienste nötig waren

Das Verb zersetzen hat zwei zentrale Bedeutungen. In der Chemie beschreibt es das Zerlegen einer Verbindung in kleinere Moleküle. In der Politik spricht man, daran angelehnt, vom Zersetzen als Zerstörung einer Gemeinschaft – oder ihrer Ordnung. Die Grundlage für Zersetzung ist das Infragestellen der Wirklichkeit als einer Art Fundament des Miteinanders. Geheimdienste wie der KGB streuten dafür Gerüchte, Briefe wurden gefälscht, Vasen in Zimmern verrückt. Heute beschleunigen die sozialen Medien solche Zersetzungsprozesse rasant – und demokratische Politiker beteiligen sich teils naiv, teils freudig daran.

Diese Woche im Schussfeld: Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP. Die Abgeordnete teilt selbst gern aus.
Diese Woche im Schussfeld: Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP. Die Abgeordnete teilt selbst gern aus.

© IMAGO/Political-Moments

Ein Beispiel: In dieser Woche gab die FDP-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann ein Interview. Über die Plattform X verbreitete sich, sie hätte den SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wegen seiner Aussagen zum Einfrieren des Ukraine-Krieges mit dem Rechtsextremisten Björn Höcke verglichen. Das sprach sich über Mitarbeiter der Parteien rasant im Bundestag herum, verbreitete sich in Chatgruppen, wütende Reaktionen folgten. Nur hatte Strack-Zimmermann Mützenich nie mit Höcke verglichen, sondern eine Bemerkung des Fragestellers aufgegriffen. Das Interview hatten die wenigsten gehört, nur Tweets dazu gelesen – die scharfen Reaktionen bestimmten politisch den Tag.

Den Kampf um Lautstärke wird die Propaganda gewinnen

Die sprachliche – und damit auch: politische – Eskalation ist von der Ausnahme zur Regel geworden, der Wille zum Missverständnis auch unter Demokraten zunehmend Alltag. Ein jahrzehntelang erfahrener politischer Berater beschrieb es in dieser Woche in einem Hintergrundgespräch so: „Früher haben wir aus Reden die Punkte herausgenommen, die uns um die Ohren fliegen könnten, heute schreiben wir sie dazu, um überhaupt noch durchzudringen.“ Das alles hilft im Informationskrieg gegen die Demokratie vor allem denen, die sie umkrempeln wollen, die den „Regime Change“ herbeisehnen. Den Kampf um Lautstärke werden Propagandisten gewinnen.

Die Reaktion in einer Demokratie kann aber nicht sein, weniger zu streiten, sich in die Hinterzimmer zurückzuziehen – und sich so ihre innere Stärke nehmen zu lassen. Eine stärkere Abwehrbereitschaft unter Demokraten buchstabiert sich vielleicht in folgenden drei Punkten aus: Erstens kann man der Gegenseite zutrauen, im Zweifel ein logisches Argument für die eigene Sache zu haben. Das Anerkennen eines Standpunktes als bedenkenswert ermöglicht erst die Willensbildung – und das Eingestehen eigener Fehler.

Zweitens gilt: Abwarten ist besser als Abschießen. Viele Aufreger verflüchtigen sich nach Minuten, manche nach Stunden – schon Tage später sind die wenigsten noch im Kopf. Was bleibt, sind Verletzungen durch fälschliche Angriffe. Drittens muss die mediale Öffentlichkeit Strategien entwickeln, wie Zwischentöne in einer Welt der Marktschreier bestehen. Im Informationskrieg gegen Autokraten sollte eine Demokratie sich nicht auch noch selbst zersetzen.

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