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Italien: Und keiner erbleicht

Mit überstürzten Neuwahlen verspielt Italien eine historische Chance.

Italien in der Regierungskrise – was soll daran Besonderes sein in einem Land, das in 63 Nachkriegsjahren 61 Regierungen verschlissen hat? Stimmt, es ist alles „normal“.

Doch Italiens Normalität wirkt gerade jetzt besonders erschreckend, weil mit überstürzten Neuwahlen die Chance vertan wird, endlich aus dem Kreislauf des Immergleichen auszubrechen. Der überfällige Generationswechsel im politischen Denken und in den Biografien wird hinausgeschoben. Italien, das wirtschaftlich und sozial ohnedies immer weiter zurückfällt, verpasst nun auch demokratisch seine Gelegenheit zur Modernisierung.

Diese Chance gab es schon einmal: in den 90er Jahren, als die „Erste Republik“ im Sumpf der Korruption und der Parteispenden versank. Danach kam, in der Tat ganz neu, Silvio Berlusconi. Danach kam aber auch ein heilloses Durcheinander von mittleren, kleinen und kleinsten Parteien. Anstatt Staat und Staatsbewusstsein zu stärken, demontierte man fröhlich zugunsten eigener Interessen.

Heute ist die politische Landschaft schlimmer zerrüttet als in der „Ersten Republik“. Links von der Mitte, dank Romano Prodis beharrlichem, allerdings unbelohntem Einsatz, hat man mit dem Umbau angefangen. Durch Fusion ist eine Großpartei entstanden, der „Partito Democratico“, unter Führung des erst 52-jährigen Walter Veltroni. Aber die Partei ist noch nicht handlungsfähig, ihr fehlen Strukturen. Und das revolutionäre Element, das Veltroni im Sinn hat, kann nun nicht mehr umgesetzt werden: Veltroni wollte die Kandidaten per Urwahl bestimmen lassen, nicht wie bisher durch den Parteiapparat. Auf diese Weise sollten alte Seilschaften entmachtet und das lähmende, eigensüchtige Proporzdenken beseitigt werden. Bis April ist das alles nicht möglich. Der „Partito Democratico“ wird sich zwar mit einem jungen Vormann, aber in altem Gewand und in alten Strukturen präsentieren.

Auch rechts war ein Umbau im Gang: Berlusconis Alliierte begannen sich von ihm zu emanzipieren. Der rechtskonservative Gianfranco Fini ist 56 Jahre alt, der Christdemokrat Pier Ferdinando Casini 53, und bis zum Wahljahr 2011 wäre wahrscheinlich die Wählermasse von Berlusconis Partei „Forza Italia“ neu zu verteilen gewesen. Die Neuwahlen allerdings machen diese Überlegungen obsolet: Alle schlüpfen unter Berlusconis Fittiche – und nach dem (wahrscheinlichen) Wahlsieg im April regieren sie genauso weiter wie zwischen 2001 und 2006, unemanzipiert und lammfromm allem zustimmend, was der Große Vorsitzende will.

Der 71-jährige Berlusconi hätte das Feld von sich aus diesmal noch nicht geräumt. Warum auch? Er weiß ein Massenpublikum hinter sich. Aber der demokratische Anstand hätte es ihm wenigstens gebieten müssen, einer Wahlrechtsreform zuzustimmen, die eine Waffengleichheit für alle Beteiligten garantiert hätte. Gewiss hätte das die Wahlen um zwei Monate verschoben. Aber es wäre der Anfang einer Reform gewesen. Im Interesse des Staates. Doch dies ist in solchen Kreisen keine Kategorie.

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