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LEICHTS Sinn: Liberaler Irrflug

Eigentum ist mehr als viel Besitz und wenig Steuern. Es geht auch um Entfaltungschancen. Der Liberalismus ist immer dann verkümmert, wenn er den Eigentumsbegriff zu eng ausgelegt hat.

Wie kommt es immer wieder dazu, dass der hiesige Liberalismus sich so präsentiert, dass er vorwiegend als Klientelpartei wahrgenommen wird, als Partei vor allem der Steuersenker und Steuersparer? Und das auch noch in einer Zeit, in der sogar fast die Hälfte der FDP-Sympathisanten – vom Rest der Republik ganz abgesehen – nicht daran glaubt, dass gerade jetzt die Zeit für solche Versprechungen gekommen ist.

Man kann dafür viele aktuelle Gründe anführen: Dem Liberalismus sind die Hauptgegner abhanden gekommen – der Klerikalismus und der Kollektivismus. Den Liberalen sind charismatische Persönlichkeiten abhanden gekommen – und so weiter und so fort.

Aber die Hauptursache für die seit seinem Anfang immer wieder drohende Einkrümmung des Liberalismus aufs Materielle liegt in einem uralten Übersetzungs- und immer wieder aktuellen Denkfehler. Der frühliberale englische Denker John Locke hatte folgende Trias als Zusammenfassung der natürlichen Rechte des Menschen formuliert: life, liberty and property. Auf Deutsch: das Recht auf Leben, auf Freiheit und – ja, hier fängt das Problem an. Wer das Wort property, mit einem kleinen Wörterbuch in der Hand, nämlich nur als Eigentum – juristisch und ökonomisch gesprochen: als Sacheigentum – übersetzt, hat schon gewaltig verkürzt, was John Locke meinte. Der Begriff property bedeutete ihm schlechterdings alles, was einem Menschen „zu eigen“ ist, an Begabungen, an Bestrebungen, an Entfaltungschancen – und infolgedessen auch an Gütern. John Lockes Eigentumstheorie ist im Übrigen zugleich, vielleicht sogar zuerst als Arbeitstheorie zu lesen: Durch eigene Arbeit macht der Mensch sich jene Güter zu eigen, die zunächst frei für alle zur Verfügung stehen. Man könnte also genauso gut und ursprünglich reden vom Recht auf Leben, Freiheit und Arbeit. Oder auf Neu-Wahl-Hochdeutsch: Arbeit muss sich wieder lohnen.

Wie auch immer: Der Liberalismus ist immer wieder dann verkümmert, wenn er das Locke’sche Wörtlein property eingekürzt hat allein auf den bürgerlich-rechtlichen Begriff des (möglichst steuerverschonten) Eigentums. Wären die Liberalen wenigstens Materialisten von echtem Schrot und Korn, müssten sie sich ständig fragen (hätten sie sich in ihrer Geschichte auch ständig fragen müssen): Wie kommt es, dass nicht alle Menschen – hierzulande und anderswo! – mit ihrer eigenen Arbeit und Begabung das erfolgreich betreiben können, was mit der Trias von life, liberty and property gemeint war, nämlich das, was angelehnt an Locke als life, liberty and pursuit of happiness in die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 geschrieben wurde: das unveräußerliche Recht auf Streben nach Glückseligkeit. Und das heißt: die reale Chance, aus seinem Leben etwas Geglücktes zu machen.

So gesehen hatte der Liberalismus ursprünglich eine starke soziale Dimension. Was auch daraus ersichtlich wird, dass Locke von Anfang an mahnte, liberty bedeute nicht license, Freiheit also nicht etwa Zügellosigkeit. Der Sündenfall des Liberalismus findet überall dort (und immer wieder) statt, wo er sich selber auf den schnöden Besitzindividualismus reduziert, obwohl er sich naturgemäß ständig fragen müsste, wie alle Menschen, hier wie dort, zu ihrem natürlichen Recht kommen können – und nicht nur die Wähler der berüchtigten „Partei der Besserverdienenden“.

Es ist übrigens kein Zufall, dass man in den USA unter einem „liberal“ mindestens einen Linksliberalen versteht, wenn nicht gar – aus Sicht der Gegner – einen schlimmen „Sozi“. Vielleicht halten sogar unsere deutschen Ober-Liberalen die amerikanischen Liberals für irregeleitete linke Vögel. Dabei sind sie es selber, die einen falschen Kurs fliegen.

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