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Bodo Ramelow

© Reuters

Rot-Rot Grün in Thüringen: Linke Spätentwickler

Aus Kommunisten wurden Postkommunisten: Was Thüringen 2014 von Polen und Ungarn nach der Wende unterscheidet. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Für manche kommt die Wahl eines Parteimitglieds der Linken zum Regierungschef zu früh – selbst 25 Jahre nach der Wende. Das ist jedoch ein Kurzschluss. Im historischen Vergleich mit Deutschlands exkommunistischen Nachbarstaaten kommt die Premiere erstaunlich spät, zumal es sich nur um eine regionale Regierung in einem Bundesland handelt. Erst aus dem deutschen Sonderfall einer erklärungsbedürftigen Verspätung leitet sich ab, warum es für eine Regierungsbeteiligung der Linken im Bund wohl immer noch zu früh ist und womöglich noch lange bleiben wird.

Was 2014 in Thüringen geschieht – die gewendeten Erben der früheren KP an der Macht – haben Polen, Ungarn, Tschechen schon lange hinter sich. Es hat ihre Länder nicht aus der Bahn geworfen. Im Gegenteil: Das Werben um die Mehrheit in demokratischen Wahlen und die Übernahme der Regierung zwangen die Nachfolgeparteien der alten Regimes, die neuen Verhältnisse nicht etwa nur widerstrebend zu akzeptieren, sondern sie zu umarmen und sich in Einzelfällen an die Spitze der Bewegung nach Westen zu setzen. Dabei nahmen sie den Großteil der früheren Parteigenossen mit.

Solidarnosc hatte ihren Elan verbraucht

Typische Vertreter dieser Dynamik waren Aleksander Kwasniewski in Polen und Gyula Horn in Ungarn. Kwasniewski war im alten System Jugend- und Sportminister gewesen. Er wandelte die Vereinigte Polnische Arbeiterpartei (PZPR) 1991 in die Sozialdemokratie der Republik Polen (SdRP) um, die wiederum die Führung des Wahlbündnisses der Demokratischen Linken (SLD) übernahm. Im Wahlkampf propagierte Kwasniewski seit 1993 den Beitritt zu EU und Nato und unterstützte die Transformation zur Marktwirtschaft – Positionen, die Teile der Linken in Deutschland bis heute nicht akzeptieren. Sechs Jahre nach der Wende, 1995, wurde Kwasniewski zum Präsidenten gewählt; seine SLD übernahm unter Premier Józef Oleksy die Regierung. Die nationalen und liberalen Kräfte, die aus dem Lager der antikommunistischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc hervorgegangen waren, hatten in wechselnden kurzlebigen Regierungen ihren Elan verbraucht, ihre ersten Skandale erlebt und an Rückhalt verloren.

Dennoch überraschte es viele im Ausland, dass Kwasniewski, ein Ex-Kommunist, sich in der Präsidentenwahl gegen Lech Walesa durchsetzte, den Helden der Wende von 1989. Dies gelang, weil er moderner auftrat und keinen Anlass für den Verdacht bot, dass er Polen in die Vergangenheit zurückführen oder den Weg nach Westen bremsen würde.

Ungarn war das einzige Land der Region, in dem die erste demokratisch gewählte Regierung vier Jahre lang durchhielt. Jozsef Antall führte sie an der Spitze des Ungarischen Demokratischen Forums. Darin hatten sich die nationalen und bürgerlichen Ex-Dissidenten zusammengeschlossen. Auch das Forum hatte seine Kräfte dann aber verbraucht und zerfiel. Antall, der es zusammengehalten hatte, starb an Krebs.

Warum ist Ostdeutschland so anders?

Gyula Horn hatte die vier Jahre genutzt, um die kommunistische Arbeiterpartei zu einer Art linker Sozialdemokratie umzuformen. Den Retro-Flügel, der in Ungarn nicht so unbedeutend war wie in Polen, drängte er an den Rand. Rechtzeitig vor der zweiten Parlamentswahl 1994 spalteten sich die orthodoxen Kräfte ab. Horn gewann die Wahl und schloss eine Koalition mit dem Bund Freier Demokraten, den Liberalen unter den Dissidenten. Auch Horn bot wenig Anlass zu Zweifel an Reformbereitschaft und Westkurs. Als Außenminister hatte er 1989 den Grenzzaun zu Österreich durchschnitten und die DDR-Flüchtlinge ausreisen lassen.

Ob Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Bulgarien oder Rumänien: Jedes Land hatte seine nationalen Eigenheiten, aber überall ist aus der früheren KP eine Sozialdemokratische Partei als stärkste Kraft hervorgegangen. Sie wechselt sich in kürzeren oder längeren Abständen mit den nationalkonservativen und liberalen Parteien an der Macht ab.

Warum ist die Linke, warum ist Ostdeutschland so anders? Der Weg, den die Ex-Genossen weiter östlich gingen, stand der SED/PDS nicht im selben Maße offen. Die Bundesrepublik dehnte ihr etabliertes Parteienspektrum auf die neuen Länder aus. Dort war der Platz der Sozialdemokratie bereits besetzt. Dies wirkte als doppeltes Hindernis. Weder konnte noch wollte die PDS sich rasch zur Sozialdemokratie reformieren, denn sie musste unterscheidbar bleiben. Und die SPD-Ost mochte sich nicht einfach für PDSler öffnen, weil sie zahlenmäßig so klein war, dass die Altgenossen die Mehrheit in der Partei übernommen hätten. Beides hatte Rückwirkungen auf die Reform- und Machtwilligen, also die deutschen Kwasniewskis und Horns, soweit es sie gab. Sie hatten keine realistische Perspektive, je die nationale Regierungsmacht zu übernehmen. Warum also den internen Machtkampf riskieren?

Wer sich zu spät wandelt, den bestraft das Leben

So bleibt die Linke eine Regionalpartei, die in den neuen Ländern mitregieren und im Ausnahmefall den Ministerpräsidenten stellen kann. Um national regierungsfähig zu werden, muss sie sich vom orthodoxen Flügel trennen und zum Kern deutscher Staatsräson bekennen: Marktwirtschaft statt Sozialismus, EU, Nato, Sonderverhältnis zu Israel, Verurteilung jeder Diktatur und rechtsbrecherischen Ideologie, ob von rechts oder links. Wer sich zu spät wandelt, den bestraft das Leben.

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