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Thilo Sarrazin.

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Debatte um Sarrazin: Mein Krampf

Was ist eigentlich fataler - wenn Thilo Sarrazin aus seinem Buch liest, oder wenn der abgeschlagene Kopf von Mohammed gezeigt wird? Ein Kommentar über Sarrazin und die deutsche Intelligenz.

Weil sich der Irrsinn zur Zeit schneller fortpflanzt als die Vernunft, weil das Land also, folgt man den gerade so beliebten Hochrechnungsmodellen, auf dem direkten Weg in den Wahnsinn ist, halten wir an dieser Stelle rasch ein paar Dinge für die Nachwelt fest:

- Thilo Sarrazin wollte mit seinem neuen Buch auf Lesereise gehen. Die ersten Termine wurden abgesagt, aus Angst vor Randale und um die Sicherheit des Autors. Keiner im Land protestiert.

Als dagegen im November 2006 eine Wiederaufnahme der Idomeneo-Inszenierung (Regie: Hans Neuenfels) an der Deutschen Oper abgesagt wurde, weil sie eine Szene einschließt, in der der abgeschlagene Kopf von Mohammed zu sehen ist und deshalb "ein Sicherheitsrisiko von unkalkulierbarem Ausgang" sei (Intendantin Kirsten Harms), war die Empörung groß. Kulturstaatsminister Bernd Neumann mahnte, "Probleme lassen sich nicht durch Verschweigen lösen", der kulturpolitische Sprecher der Unionsfraktion sprach von einem "Kniefall vor Terroristen", SPD-Fraktionschef Peter Struck geißelte die "Kapitulation vor einer möglichen Gefahr", und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit ließ sich mit dem Satz zitieren: "Unsere Vorstellungen von Offenheit, Toleranz und Freiheit müssen offensiv gelebt werden."

Doch was ist aus integrationspolitischer Sicht eigentlich fataler - wenn Thilo Sarrazin aus seinem Buch liest, oder wenn der abgeschlagene Kopf von Mohammed gezeigt wird? Die Antwort der meisten Muslime in Deutschland dürfte klar sein. Ums gedeihliche Zusammenleben geht es den Sarrazin-Kritikern offenbar nicht.

- Wer Plakate mit der Aufschrift "Halt's Maul, Sarrazin" trägt, verhält sich zwar ungleich ziviler als jene wütenden Muslime, die während des Karikaturenstreits dänische Fahnen verbrannten, aber strukturell durchaus ähnlich.

- Das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft brachte im Mai 2005 eine lange Studie heraus mit dem Titel: "Ausländer bereichern die deutsche Wirtschaft". Die Zwischenüberschriften zu einigen Kapiteln lauten: "Ausländer beleben alle Branchen!"; "Ausländer stützen den Arbeitsmarkt!"; "Ausländer stützen das soziale Netz!"; "Ausländer investieren in Deutschland!"; "Ausländisches Kapital sichert deutsche Arbeitsplätze"; "Ausländer stärken die Kaufkraft!". Keiner regte sich damals darüber auf, dass hier Menschen in erster Linie nach ihrem ökonomischen Nutzen bewertet werden, dass solche Nützlichkeitsargumente einen darwinistischen Unterton haben undsoweiter.

Ein Haupteinwand gegen Thilo Sarrazin ist sein angeblich menschenverachtendes Weltbild. Dabei unterscheidet sich das Weltbild derer, die den Nutzen bestimmter Menschengruppen positiv beurteilen, insofern kaum vom Weltbild jener, die den Nutzen negativ beurteilen, als dass in beiden Fällen die Messlatte der Nützlichkeit angelegt wird.

- Das wiederum hat Tradition in Deutschland. Wann immer an die Opfer der Shoah erinnert wird, bleibt der Hinweis nur selten aus, welchen Schaden sich Deutschland quasi selbst zugefügt hat. Beklagt wird der Verlust an Wissenschaftlern und Künstlern, an Intellektuellen jeder Art. Oft wird erwähnt, dass von den 55 Nobelpreisträgern, die es vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Österreich gab, 23 Juden waren, wobei der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung weniger als ein Prozent betrug. Die deutsche Erinnerungskultur an den Holocaust ist implizit geprägt von der These, das Ermorden von Menschen sei zwar schlimm, doch noch schlimmer sei die Ermordung von Schriftstellern und Nobelpreisträgern. Auch hier schwingen Nützlichkeitsargumente mit.

- Die Grünen hatten im April einen kleinen Parteitag in Köln. Es ging ihnen vor allem um die Abgrenzung zur FDP. Mit den Liberalen gehe nichts, rief Grünen-Chef, Cem Özdemir, seinen Anhängern zu, denn dazu seien die "genetischen Unterschiede" zu groß. Niemand protestierte, keiner monierte eine "unerträgliche Wortwahl". Tags zuvor hatte Özdemir im "Hamburger Abendblatt" gesagt: "Der Atomausstieg ist für uns unverhandelbar. Das ist quasi genetisch bedingt."

- Thilo Sarrazin gefällt sich in der Pose der verfolgten Unschuld. Er behauptet, eine elitäre politische Klasse verhindere den Dialog über seine Thesen, würde Menschen wie ihn mundtot machen, kujonieren. Und wie reagiert die politische Klasse? Sie tut alles, um diese These zu bestätigen. Lesungs-Absagen, Parteiausschlussverfahren, eine mögliche Abberufung von seinem Vorstandsposten bei der Bundesbank.

- Damit wiederum ist eine zentrale These Sarrazins widerlegt, nämlich die, autochthone Deutsche seien intelligenter als nicht-autochthone Deutsche. Wer die Reaktionen der biodeutschen Elite auf Sarrazin verfolgt, wird künftig eher vom Gegenteil ausgehen. Womöglich sind es einst die Ausländer, die die Intelligenz in Deutschland vor dem Aussterben bewahren.

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