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Die Piraten zogen zuletzt in den Saarländischen Landtag ein.

© dapd

Wahlerfolge: Piraten bedienen die Sehnsucht nach dem Nichts

Die Wahlerfolge der Piraten sind Ausdruck einer gesellschaftlichen Infantilität und Zeichen des Überdrusses an einer faktischen Altparteienkoalition. Sie profitieren vom großen politischen Einheitsbrei.

Piraten waren historisch das Zerfallsprodukt absteigender Reiche. Das galt für das Spanien Philipps II. wie das Osmanische Reich nach der Niederlage vor Wien. Piraterie war wurzel- und ziellos, und selbst Francis Drake wurde erst zum Baumeister des neuen britischen Weltreiches, nachdem die jungfräuliche Königin ihn in ihren Dienst genommen hatte. Und noch dem schwächelnden Venedig gelang im 18. Jahrhundert ein Sieg über die Barbaresken, weil diese nichts verkörperten als die eigene Raubgier.

Auch die neuen Piraten sind ein Dekadenzprodukt abgelebter Volks- und Klientelparteien. Es ist schon erstaunlich, dass eine Gruppe, die nichts verkörpert und keine anderen Inhalte kennt als das unzensierte Netz und sogenannte Transparenz, nun schon im zweiten Landtag vertreten ist.

Man mag über die Altparteien denken, was man will, doch sie haben immerhin einen Standpunkt zu Mindestlohn oder Rettungsschirm, zu Spitzensteuersatz, Afghanistan-Einsatz und Wehrpflicht. Die Piraten haben – sieht man von ihrer Neigung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen einmal ab – nichts dergleichen und werden dennoch gewählt. Eine 22-jährige Auszubildende als Spitzenkandidatin zieht nun in den saarländischen Landtag ein, um Entscheidungen zu treffen, mit denen schon gestandene Frauen und Männer manchmal überfordert scheinen.

Man muss kein Kulturpessimist sein, um diese Entwicklung für falsch zu halten. Es stimmt, William Pitt war 24 Jahre alt, als er Premierminister wurde, und Napoleon 30 bei Marengo und 35 bei Austerlitz. Nur Pitt vertrat das aristokratische Erbe Englands gegen die Revolution und Napoleon eben diese gegen Jakobiner und Royalisten. Beide standen für ein politisches Programm, das sich in Edmund Burkes Reflexionen über die französische Revolution und im Code Napoleon nachlesen lässt.

Die Piraten vertreten Transparenz und Mitwirkung. Doch was nützt Transparenz, wenn ich durch geputztes Glas auf fast nichts schaue und was eine Mitwirkung an diesem Nichts?

Die Wahlerfolge der Piraten sind entweder Ausdruck einer gesellschaftlichen Infantilität oder Zeichen des Überdrusses an einer faktischen Altparteienkoalition. Und das ist das Problem des großen politischen Einheitsbreis. Nirgendwo sind fundierte abweichende Positionen noch erkennbar. Alle stürzen gemeinsam in eine Energiewende, vor der die Fachleute warnen; fast alle glauben gemeinsam, dass drittel-paritätisch besetzte Dax-Vorstände eine wichtige gesellschaftliche Frage sind, und alle stellen die Euro-Rettung über Geldwertstabilität und Haushaltsdisziplin.

Mehr oder weniger vom Gleichen ist das einzige Unterscheidungsmerkmal von CDU, SPD und Grünen. Da Abweichendes oder gar Gegenläufiges im politischen Tagesgeschäft kaum noch vorkommt, erhoffen sich immer mehr Wähler Erlösung von jenen Piraten, bei denen zumindest Anspruch und Outfit anders sind.

Doch dieses Anderssein beschränkt sich mangels erkennbarer Inhalte auf die Form. Und da das Gefäß noch leer ist, haben die Piraten nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie füllen es bald mit den politischen Positionen der Gesellschaft, die im Parteienspektrum von der CDU bis zur Linken nicht mehr wahrgenommen werden, oder sie setzen auf noch mehr vom Gleichen, was allerdings kaum dauerhaften Erfolg verspricht. Sonst geht es ihnen wie im Märchen. Irgendwann wird jemand kommen und ausrufen, da ist ja nichts, der Kaiser ist nackt.

Vielleicht haben sich die anderen Parteien bis dahin von der fixen Idee befreit, dass Demokratie am besten ohne Alternativen auskommt. Denn dann könnten die Piraten sogar sehr hilfreich gewesen sein.

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