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Spiel mit Unbekannten: Wie die Piraten die Parteienlandschaft aufmischen

Die Piraten sind endgültig im Politikbetrieb angekommen. Wo stehen sie – und wie stehen die anderen zu ihnen?

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Der FDP-Generalsekretär sieht sich zur Stellungnahme veranlasst. Am Sonntagabend, als die Generalsekretäre der Parteien im Fernsehen über den Wahlausgang im Saarland stritten, hat Patrick Döring den Neuankömmlingen ein böses Wort entgegengeschleudert. Diese Piraten, schimpfte Döring, hätten ein von der „Tyrannei der Masse“ geprägtes Politikbild – anonyme Netzdiskurse erzeugten einen völlig falschen Eindruck von den wirklichen Meinungsverhältnissen. Der Shitstorm im Netz war absehbar.

Sie tun sich schwer mit den Neuen, alle die, die man jetzt wohl die Altparteien nennen muss. Nach dem Einzug der Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus hatten sich viele Strategen von CDU bis Linkspartei noch mit dem Gedanken an ein kurzlebiges Großstadtphänomen getröstet. Doch seit die Saar-Piraten aus dem Stand das Parlament eines – wenn auch kleinen – Flächenlandes geentert haben, ist klar: Mit denen ist zu rechnen.
Die Unsicherheit über den Umgang mit der neuen Konkurrenz ist groß. Dörings Chef Philipp Rösler murmelt etwas davon, dass man vom Politikstil der Piraten „sicherlich etwas lernen“ könne, versichert aber trotzig: „Wir lassen lassen uns dennoch nicht von den Piraten kapern!“

Andere bemühen sich um respektvollen Umgang. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles will offenkundig den Fehler nicht begehen, den die SPD bei den Grünen schon einmal begangen hat: die Neuen in ihrer Außenseiterrolle zu stärken. Sie rechne mit weiteren Erfolgen der Piraten: „Ich plane lieber so und werde dann überrascht, dass es anders kommt.“ Zugleich sucht sie nach Anknüpfungspunkten. Soziale Gerechtigkeit sei für viele Piraten auch eine zentrale Frage: „Da können wir anknüpfen“, meinte Nahles. Aber sie vergisst auch nicht den Zusatz, dass die SPD in den inhaltlichen Schwerpunkten der Piraten „auf der Höhe der Zeit“ sei – Netzpolitik sei in der Partei schon jahrelang heimisch.

Das ist die Berliner Piratenfraktion:

Nahles’ Dreischritt – respektieren, einbinden, konkurrieren – ist durchaus typisch. Er ist auch bei Grünen-Chef Cem Özdemir zu finden. Von einer „massenhaften Abwanderung“ grüner Wähler könne keine Rede sein, aber weh tun die Neuen doch. Denn die Piraten mobilisieren besonders unter Erstwählern und Nichtwählern – also in dem Spektrum, das in der Vergangenheit auch für grünes Wachstum verantwortlich war. Thematisch hätten die Grünen keinen Nachholbedarf. „Wir müssen aber aufpassen, dass unsere Wahlkämpfe spannend und cool sind.“

Eine Partei hat besonders viele Stimmen an die Newcomer verloren.

Das ist gar nicht weit von der Analyse entfernt, die die Linke anstellt. Keine andere Partei hat im Saarland so viel an die Piraten abgeben müssen, 7000 Wechselwähler vermeldet die ARD-Wahlanalyse. Offensichtlich gebe es ein großes Protestpotenzial, sagt Parteichef Klaus Ernst. Nur ist das offenbar mit Parolen gegen Hartz IV nicht zu gewinnen. Co-Chefin Gesine Lötzsch findet, die Piraten beherrschten besser als die Linkspartei „den Gestus des Anderen“. Womöglich, mutmaßt sie, sei die Linkspartei schon „zu seriös“ geworden?

Die Piraten selbst gefallen sich derzeit noch in der Rolle der einsamen Elite – und kultivieren geschickt die Verachtung gegenüber dem herrschenden Politikbetrieb: Nicht links, nicht rechts, vorne sieht man sich. Dass die saarländische Spitzenkandidatin Jasmin Maurer ihre Wähler am Wahltag via Facebook dazu aufforderte, die Politik im Saarland um „ein Jahrhundert“ vorzustellen, steht stellvertretend für eine Haltung, die noch relativ rücksichtslos die eigene Alleinstellung betont.

Die Wahl im Saarland in Bildern.

Das heißt aber nicht, dass man nicht gesprächsbereit wäre. „Wir reden mit allen demokratischen Parteien“ – das Mantra des Bundeschefs Sebastian Nerz unterstützt auch Torge Schmidt, Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein. Jedoch mit einer feinen Einschränkung: „Wenn mit uns Gespräche geführt werden sollten, dann nur transparent.“ Koalitionsrunden ohne audiovisuellen Livestream aus den Verhandlungsräumen würden die schleswig-holsteinischen Piraten dankend ablehnen. Die De-facto- Isolation, die aus diesen für etablierte Parteien kaum machbaren Vorgaben resultiert, scheint Schmidt nicht zu rühren: „Wir müssen nicht auf Biegen und Brechen an die Macht kommen.“

Joachim Paul, frisch gewählter Spitzenkandidat in NRW, setzt beim Thema Koalitionspolitik noch ein wenig früher an: „Wir sind sicher noch nicht regierungsfähig, wollen aber auch nicht blockieren.“ Es werde mit den Piraten „bestimmt thematische Koalitionen“ geben. Verbriefen wird Paul das aber nicht – ein einheitliches Abstimmungsverhalten innerhalb der Koalition soll genau wie in Berlin auch in NRW nicht festgelegt werden: „Der oberste Entscheid ist immer der Gewissensentscheid, aber Piraten haben konstruktives Sitzfleisch. Die bleiben so lange zusammen, bis weißer Rauch aufsteigt.“

Einen Ausweg aus dem Dilemma der Unberechenbarkeit deutete Andreas Baum, Chef der Berliner Fraktion, an: Demnach sei es durchaus möglich, im Fraktionsplenum darüber abzustimmen, ob man in bestimmten Fragen künftig gemeinsam abstimmen werde. Regierungsbeteiligungen, die, wie Sebastian Nerz bei gleicher Gelegenheit betonte, „nicht zwingend auf klassischen Koalitionsverträgen“ basieren müssten, wäre damit ein Hintertürchen geöffnet.

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