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Porträt: „Mein Land hing am seidenen Faden“

Der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos tritt zurück und will Chef der sozialistischen Partei werden. Der laufen die Wähler gerade in Scharen davon.

Er hat gerade erst den größten Schuldenschnitt der Geschichte gestemmt, die schwierigen Verhandlungen über das neue Rettungspaket erfolgreich abgeschlossen und so Griechenland vor dem drohenden Staatsbankrott bewahrt. Wenn Evangelos Venizelos voraussichtlich am kommenden Montag als griechischer Finanzminister zurücktritt, wird man ihm bescheinigen, dass er einen guten Job gemacht hat. Aber die neue Aufgabe, die der schwergewichtige Politiker übernimmt, ist mindestens genauso herausfordernd: Am Sonntag wird er in einer Urwahl zum neuen Vorsitzenden der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) gewählt. Ausgerechnet unter Giorgos Papandreou, dem Sohn des Parteigründers Andreas Papandreou, stürzte die Pasok in die schwerste Krise ihrer 38-jährigen Geschichte. Die Partei liegt am Boden. Sie wieder aufzurichten, wird von Venizelos die Kräfte eines politischen Herkules verlangen.

Schon einmal, 2007, griff Venizelos nach dem Parteivorsitz, unterlag aber in einer Urwahl gegen Giorgos Papandreou. Immerhin 40 Prozent der Stimmen entfielen damals auf ihn. Das war mehr als ein Achtungserfolg. Diesmal kann Venizelos mit einem Ergebnis rechnen, wie man es sonst nur aus Diktaturen kennt, denn er ist der einzige Kandidat. Manche Genossen vermissen bei ihm den sozialistischen Stallgeruch. Venizelos stammt aus einer großbürgerlichen Familie im nordgriechischen Thessaloniki, studierte in Paris Jura und lehrte als Professor für Verfassungsrecht, bevor er Anfang der 1990er Jahre in die Politik kam. Aber die Partei hat nicht den Luxus, jetzt auf die Suche nach einem lupenreinen Linken zu gehen. Für die Pasok ist der bullige, wortgewaltige Venizelos die einzige Chance, auch dank seiner langen Regierungserfahrung.

Aus dem Jura-Professor ist längst ein Vollblutpolitiker geworden. Der scharfzüngige Venizelos polarisiert, versteht es aber auch, Menschen mitzureißen. Wie schwer letzteres jetzt sein wird, erfuhr Venizelos, als er am vergangenen Sonntag vor dem Nationalrat, dem höchsten Parteigremium der Pasok, seine Kandidatur bekanntgab. Ein Rentner auf Krücken humpelte auf ihn zu und kippte ihm ein Joghurt über den Anzug. „Warum hast du mir die Rente gekürzt?“, giftete der Greis. Wegen des brutalen Sparkurses, den die sozialistische Regierung in den vergangenen zwei Jahren steuern musste, laufen die Wähler der Pasok in Scharen davon.

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