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Nawalnys Verurteilung verdeutlicht, wie wichtig Putin Rechtsstaat und Demokratie sind.

© Reuters

Russland und der Fall Nawalny: Mit aller Macht gegen den Rechtsstaat

Russland gefällt sich gerade in der Rolle des globalen Menschenrechtsverteidigers und verurteilt gleichzeitig Kreml-Kritiker Alexej Nawalny zu einer hohen Haftstrafe. Claudia von Salzen meint: Das passt nicht zusammen.

Auf der Bühne der Weltpolitik gefällt Russland sich zurzeit in einer neuen Rolle. Die Bereitschaft, dem Whistleblower Edward Snowden zumindest vorübergehend Asyl zu gewähren, sei gut für das Image des Landes, glaubt Moskau. Russland schließe sich nun dem „Schutz der Menschenrechte auf internationalem Niveau“ an, verkündete der Abgeordnete Alexej Puschkow. Ziel solcher Äußerungen ist es, durch moralischen Relativismus die Menschenrechtslage in Russland zu verharmlosen.

Snowden selbst pries seine Gastgeber gar als Verteidiger der Menschenrechte gegen die Mächtigen. Ob er wohl je von Alexej Nawalny gehört hat? Der russische Rechtsanwalt und Blogger ist, wenn man so will, selbst ein Whistleblower. In seinem Blog deckt er seit Jahren Fälle von Korruption und Amtsmissbrauch auf. Dadurch wurde er für die kleine russische Machtelite mindestens ebenso gefährlich wie durch seine Aktivitäten in der Protestbewegung gegen Präsident Wladimir Putin. In einem offensichtlich politisch motivierten Prozess verurteilte ihn nun ein Richter, der noch nie jemanden freigesprochen hat, zu fünf Jahren Lagerhaft.

Alexei Nawalny darf nie wieder ein politisches Amt ausüben

Nawalny hatte die Protestbewegung Ende 2011 angeführt. Es ist maßgeblich ihm zuzuschreiben, dass nach Putins Entscheidung, in den Kreml zurückzukehren, nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen – eine kleine Gruppe von Liberalen und Bürgerrechtlern – auf die Straße gingen. Aus dem Protest wurde zeitweise eine breite Bewegung. Das Urteil gegen Nawalny ist nun, anderthalb Jahre später, die Quittung dafür. Damit hat Putin sichergestellt, dass einer seiner profiliertesten Gegner bis nach der Präsidentschaftswahl 2018 hinter Gittern bleibt. Und selbst im Falle einer Freilassung bliebe Nawalny politisch ausgeschaltet. Als Vorbestrafter darf er nie wieder ein politisches Amt in Russland ausüben.

Das Verfahren gegen Nawalny ist in Russland bereits der zweite kafkaeske Prozess innerhalb kurzer Zeit. Erst vergangene Woche verkündete ein anderer russischer Richter einen Schuldspruch gegen einen Toten, gegen den Anwalt Sergej Magnitski. Auch er war auf seine Art ein Whistleblower, da er selbst einen riesigen Steuerbetrug aufgedeckt hatte, von dem russische Beamte profitiert haben sollen. Er wurde im Gefängnis misshandelt und starb in der Haft. Beide Fälle zeigen, was denjenigen droht, die der russischen Machtelite und deren Interessen zu nahe kommen.

Repression statt Dialog

In seiner dritten Amtszeit im Kreml tut Putin nicht einmal mehr so, als liege ihm etwas an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die neuen Gesetze, die seine Handschrift tragen, schränken die Bürgerrechte massiv ein. Das Signal aus dem Kreml lautet: Repression statt Dialog. Doch ob sich Russlands Bürger dadurch auf Dauer abschrecken lassen, ist mehr als fraglich. Das Land hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Eine neue, selbstbewusste Mittelschicht ist entstanden, die für ihre Kinder in Putins Russland zu wenig Chancen sieht.

Und wie reagiert Europa auf das Urteil? Catherine Ashton äußert sich „besorgt“, die EU-Außenbeauftragte findet, das Urteil werfe „ernsthafte Fragen“ hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit in Russland auf. Das ist eines der üblichen Statements, in denen ein bisschen Kritik diplomatisch-höflich verpackt wird. Putin, Machtpolitiker durch und durch, kann darüber wohl nur lachen – weil er weiß, dass dieses Statement politisch genauso folgenlos bleiben wird wie alle zuvor. Es ist an der Zeit für eine andere Antwort auf Putin: eine neue europäische Russlandpolitik.

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