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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit Kreuz.

© imago/Sven Simon/IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON

Söder darf Kreuze in Ämtern aufhängen: Die Diskussion um Neutralität fängt jetzt erst an

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich naiv gestellt und den umstrittenen Kreuz-Erlass durchgewinkt. Ein Urteil, das eine Chance vergibt – auch mit Blick auf Fragen politischer Neutralität.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Es ist eine frohe Botschaft aus Leipzig, die Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kurz vor seinem mutmaßlich christlichen Weihnachtsfest erreicht hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat Klagen gegen seinen umstrittenen Erlass zurückgewiesen, wonach in sämtlichen Behörden Bayerns „gut sichtbar“ ein Kreuz am Eingang anzubringen ist.

Ist von allen guten Göttern verlassen, wer darauf mit Unglaube reagiert? Es ist eine verstörende Botschaft, die da verkündet wurde. Das höchste Verwaltungsgericht segnet eine Praxis ab, die im Rest der Republik einmalig ist – und auf die selbst die der Sache nach zuständigen Kirchen mit Skepsis reagieren.

Was soll das Kreuz ausgerechnet dort, wo der Staat seine Geschäfte macht? Rechnet man den Vorgang hoch auf Bundespräsidial- oder Kanzleramt, so wäre Deutschland ein neuer Auftritt möglich: im Zeichen einer, eben der richtigen Religion.

Das wäre wohl auch mancher Partei zu viel, die „christlich“ im Namen trägt. Und jenen in- und außerhalb Bayerns, die Staat und Religion sorgfältig voneinander getrennt sehen möchten. Doch eben darin liegt das Zwiespältige der Botschaft aus Leipzig: Das Grundgesetz macht so etwas offenbar möglich. Jedenfalls so lange, bis das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe irgendwann darüber anders entscheidet.

Dem Staat ist es verboten, sich mit einer Religion zu identifizieren

Es liegt noch kein schriftliches Urteil vor. Doch aus dem, was verlautet wurde, ergibt sich das Bild einer vertanen Chance. Viel ist von Neutralität die Rede, doch wann was darunter zu verstehen ist, wird schnell fraglich. Das gilt nicht nur für den Umgang mit dem Christentum, sondern ebenso dem Islam, wie sich in etlichen Kopftuch-Fällen zeigt, und dem Judentum, dessen Angehörige kürzlich Schwierigkeiten meldeten, einen Chanukka-Leuchter an der Charité aufzustellen.

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Tatsächlich ist hier vieles ungewiss. In der Verfassung findet sich nichts über Neutralität, jedoch manches über Religionsfreiheit und Prinzipien der Gleichbehandlung. Lehrerinnen, die von ihren Schülern aufgrund ihres Äußeren islamisch gelesen werden, dürfen an staatlichen Schulen unterrichten, war bisher etwa zu erfahren. Doch es können Grenzen erreicht sein, wenn das individuelle Bekenntnis als amtliches erscheint, etwa an einem Richtertisch. Der Staat dürfe sich nicht mit einer Religion identifizieren, lautet eine wichtige Einsicht. Wie passt da Söders Kreuz-Erlass?

Eine plausible Antwort darauf ist das Bundesverwaltungsgericht schuldig geblieben. Es zieht sich auf eine kleinteilige Argumentation zurück, wonach der Erlass als interne Behördenvorschrift keine Außenwirkung entfalte oder Werbeeffekte habe. Der Freistaat identifiziere sich auch nicht mit dem Christentum, denn es handele sich ausweislich des Erlass-Wortlauts um ein kulturelles Anliegen. Das darf man treuherzig nennen, wenn nicht absichtsvoll naiv.

Es geht nicht nur um religiöse, sondern auch um politische Neutralität

Bayern hängt voller Kreuze, auch an Schulen. Der Unterschied ist, dass es dort eine Konfliktregelung gibt, die die Freiheit Betroffener respektiert, von religiöser Staatssymbolik verschont zu bleiben. Eine solche fehlt dem Söder-Erlass. Er gilt absolut. Es muss auch etwas verwundern, dass sich offenbar noch keine Beamte gefunden haben, die sich an ihm stoßen. Sie dürften vor Gericht bessere Chancen haben.

Etwas mehr Grundsätzlichkeit wäre wünschenswert gewesen, auch mit Blick auf ein weiteres Spannungsfeld. Denn Bekenntnisse sind auch umstritten, wenn sie vom Staat nicht nur gegeben werden, sondern er sie von anderen verlangt. Während Söder als Missionar auftritt, werden etwa in Sachsen-Anhalt nur noch Menschen eingebürgert, die mit ihrer Unterschrift Israels Existenzrecht bestätigt haben. Im Bundestag will die Union dieses Existenzrecht sogar per Strafgesetz schützen.

Dabei geht es nicht vorwiegend um religiöse Bekenntnisse, sondern um politische. Im berechtigten und leider mehr denn je notwendigen Kampf gegen Antisemitismus soll das, was bisher Staatsräson heißt und für die Regierung gilt, in Gesetze umgeformt werden, mit Pflichten für alle. Es ist auch dies eine Neutralitätsfrage, die diskutiert gehört.

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