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Angela Merkel wird 60: Von Kohls Mädchen zur Führungspersönlichkeit

Bundeskanzlerin Angela Merkel feiert heute ihren 60. Geburtstag. Sie gehört zu den Größen der Weltpolitik. In Deutschland ist niemand erkennbar, der ihr machtpolitisch gefährlich wäre.

Angela Merkel wird heute Woche 60 – na und? Vier Kanzler vor ihr haben diesen Geburtstag im Amt gefeiert. Gerhard Schröder am 7. April 2004, zwei Monate, nachdem er den Rücktritt vom Parteivorsitz der SPD bekannt gegeben hatte. Helmut Kohl am 3. April 1990, auf dem Höhepunkt seiner Macht. Helmut Schmidt am 23. Dezember 1978, ein Jahr, nachdem er als Erster auf die Rüstungsungleichheit zwischen Ost und West hingewiesen hatte. Und schließlich Willy Brandt am 18. Dezember 1973 – er hatte 1972 den größten Wahlerfolg der SPD in der bundesdeutschen Geschichte errungen.

Angela Merkel - Von Kohls Mädchen zur Führungspersönlichkeit

Und nun Angela Merkel. Ihr 60. Geburtstag, so vorhersehbar er kalendarisch war, überrascht, weil wohl kein anderer deutscher Politiker sich innerhalb von 25 Jahren so wie sie aus der völligen Bedeutungslosigkeit in die politische Weltspitze hinein entwickelt hat. Aus Kohls Mädchen des Jahres 1990 ist eine Führungspersönlichkeit geworden, die in einem Atemzug mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping, mit Barack Obama und Wladimir Putin genannt wird. Sie gehört zu den festen Größen der Weltpolitik, und auch in Deutschland ist niemand erkennbar, der ihr machtpolitisch gefährlich werden könnte. Ob sie bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleibt oder vorher geht, ist allein ihre Entscheidung.

Ein Kontrollfreak - ihre Stärke?

Sie ist im eigenen Land so unumstritten, weil sie anders ist als ihre Vorgänger und gleichzeitig sehr typisch deutsch. Anders als ihre Vorgänger, aber nicht nur, weil sie eine Frau ist, sondern weil ihr jedes Machogehabe (zu dem auch Frauen in der Lage sind) abgeht. Sie ist ein Kontrollfreak, auch sich selbst gegenüber. Machtgetue und politisches Showgeschäft sind ihr zuwider, obwohl sie sowohl Macht knallhart exekutiert als auch inszeniert. Typisch deutsch ist ihre Scheu vor harten Entscheidungen und ihre Angst vor Risiken. Sie führt gerne von hinten, was man auch Führungsschwäche nennen könnte. Sie entscheidet gerne, wenn sie weiß, wie die Mehrheitsmeinungen laufen. Der Atomausstieg nach Fukushima – nachdem sie erst eine Laufzeitverlängerung durchgesetzt hatte – ist so ein Beispiel. Eine Agenda 2010 darf man ihr vermutlich nicht zutrauen, obwohl sie Schröder dafür bewundert. Ob sie den Nato-Nachrüstungsbeschluss angesichts einer Millionenschar von Demonstranten im Bonner Hofgarten durchgehalten hätte, kann man mangels Nachweis zumindest bezweifeln.

Führen auf Sicht

Man darf das opportunistisch nennen, aber keiner wird bestreiten, dass sie Deutschland seit dem November 2005, dem Beginn ihrer Kanzlerschaft, erfolgreich geführt hat. Erst in der Weltwährungs- und dann in der Eurokrise hat dieses politische Fahren und Führen auf Sicht gut funktioniert. Allerdings wird ihr vorgeworfen, früheres entschlossenes Handeln in der Eurokrise wäre vielleicht für Deutschland im ersten Moment teurer, auf die lange Distanz aber problemlösender gewesen, aber den Beweis dafür kann niemand antreten.

Merkels abwartendes Taktieren darf nicht mit Prinzipienlosigkeit verwechselt werden. Die Konservativen in der Union, die ihr die Preisgabe des christdemokratischen Tafelsilbers vorwerfen – von der Wehrpflicht bis zur Familienpolitik – übersehen, dass die CDU-Vorsitzende als Kanzlerin damit nur Positionen räumte, die nicht mehr mehrheitsfähig waren. Merkel hat die Union mit dieser Methode an der Macht gehalten, die SPD ist daran verzweifelt. Merkel ist nicht nachtragend, aber sie hat ein gutes Gedächtnis. Das erklärt, warum sie es jetzt, nachdem sie ein Jahr lang in der Snowdon-Affäre so tat, als nehme sie alles nicht so dramatisch, auf einen Bruch des ohnedies nicht sonderlich engen Verhältnisses zu Barack Obama ankommen lässt. Sie verzeiht den Amerikanern, denen sie noch am 7. Juni 2011 bei der Verleihung der Freiheitsmedaille ihre tiefe Bewunderung ausgedrückt hat, nicht die arrogante Ignoranz angesichts der deutschen Sorgen.

Mehr für Europa

Wofür wird sie, als dritte große christdemokratische Kanzlerin nach Adenauer und Kohl, eines Tages stehen? Bei Adenauer war es die Westbindung, bei Kohl die deutsche Einheit. Und Merkel? Sie könnte, wenn sie aufhört, nur deutsch zu denken, als Überwinderin der Europa- und der Eurokrise in die Geschichtsbücher eingehen. Dazu bedürfte es eines entschlossenen Führungsanspruches, also eines Zupackens, das ihr eigentlich nicht liegt. Aber wollte sie tatsächlich später gebeten werden, etwa EU-Ratspräsidentin oder gar UN-Generalsekretärin zu werden, wäre ein solcher europäischer Durchbruch die beste Empfehlung.

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