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© dpa/Sebastian Kahnert/Bearbeitung Tagesspiegel

35-Stunden-Woche: Wird es wieder attraktiv, Lokführerin oder Lokführer zu werden?

Weniger Arbeit, gleicher Lohn: Die Vereinbarung zwischen Deutscher Bahn und Lokführergewerkschaft GDL birgt Chancen und Risiken. Das erläutern die Experten.

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Die Deutsche Bahn und die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) haben sich auf die schrittweise Absenkung der wöchentlichen Regelarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden geeinigt. Bis 2029 soll das schrittweise umgesetzt werden - wenn die Lokführerinnen und Lokführer das wollen. Weniger Arbeit, gleicher Lohn - zieht das Bewerberinnen und Bewerber an? Kann es die Personalprobleme der Bahn lösen?

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Das Werben von Interessenten wird leichter

Jedes Jahr gibt es 1000 Lokführer mehr in Deutschland. Das zeigt: Der Beruf ist bereits attraktiv. Die nun tariflich vereinbarte Möglichkeit, die Wochenarbeitszeit bis 2029 bei vollem Lohn auf 35 Stunden zu reduzieren, macht ihn noch attraktiver. Vor allem, weil es die Wahl gibt. Wer will, kann auch künftig mehr als 35 Stunden arbeiten und bekommt dann mehr Geld. So paradox es klingt: Zwar wird der Bedarf an Lokführern durch Arbeitszeitreduzierung weiter steigen, dennoch erleichtert das Wahlmodell den Bahnunternehmen die Ansprache künftiger Bewerberinnen und Bewerber. Züge zu steuern hat immer noch das Potenzial zum Traumberuf – und ist dazu deutlich besser bezahlt als der Job des Bus- oder Lkw-Fahrers. Die flexible Wochenarbeitszeit kommt jetzt noch hinzu. Nach diesem fortschrittlichen Tarifabschluss muss sich nun auch der Staat bewegen. Er sollte die Vergabe von Bildungsgutscheinen für Quereinsteiger großzügiger handhaben – sonst bremst er die von ihm gewollte Verkehrswende aus.

Es geht nicht nur um Geld

Als Lokführer oder Lokführerin zu arbeiten, ist eine sehr einsame und sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Mir wird das immer bewusst, wenn ich bei diversen Forschungs- und Lehrprojekten an der Zugspitze mitfahren darf oder auch muss. Es wird eine große Empathie des Personals spürbar, das sehr wertschätzt, dass sich jemand für die spezielle Arbeit interessiert. Es geht deshalb bei den Auseinandersetzungen nicht nur um Geld, sondern auch um die Arbeitsbedingungen und Anerkennung. Die durch Verspätungen verursachten Überstunden werden zwar bezahlt, erschweren aber die Organisation des Privatlebens viel stärker als bei normalem Schichtdienst. Die mögliche 35-Stunden-Woche mildert das Problem, aber löst es nicht. Höhere Zuverlässigkeit durch bessere Instandhaltung von Weichen, Stellwerken und Fahrzeugen und Verminderung der heute großen, aber dann unnötigen Zeitpuffer würde sowohl die Arbeitsbedingungen an der Zugspitze als auch die Produktivität des Verkehrssystems stark verbessern. Das würde Schärfe aus der Konfrontation nehmen und auch den Nutzerinnen und Nutzern des Verkehrssystems im Personen- und Güterverkehr zugutekommen.

Es braucht einen erheblichen Zuwachs an Personal

Wir müssen als Eisenbahnunternehmen künftig noch stärker als bislang um geeignetes und qualifiziertes Fachpersonal werben. Denn das mit der Verkehrswende erwünschte Wachstum des klimafreundlichen Verkehrsträgers Schiene lässt sich nur mit einem erheblichen Zuwachs an Personal bewerkstelligen. Attraktive Rahmenbedingungen sind daher ein absolutes Muss für die zahlreichen offenen Stellen, die wir besetzen wollen. Aus unternehmerischer und damit aus wirtschaftlicher Sicht birgt der Weg in eine 35-Stunden-Woche für unser Fahrpersonal jedoch Risiken. Durch die Absenkung der Arbeitszeit entsteht eine Lücke in der Personalplanung, die es zu füllen gilt.

Für die Schienengüterverkehrsunternehmen, die in einem vom Wettbewerb umkämpften und oft margenschwachen Markt tätig sind, bedeutet dies zusätzliche Investitionen, die nicht ohne weiteres an die Kunden weitergegeben werden können. Wenn das Unternehmen am Ende an Produktivität und Wirtschaftlichkeit einbüßt, dann schadet dies auch seinen Arbeitnehmern.

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