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Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), spricht mit Journalisten bei einer Pressekonferenz über die Einigung mit der Deutschen Bahn im Tarifkonflikt.

© dpa/Carsten Koall

Update

„Erfolg fast auf ganzer Linie“ : GDL-Chef Weselsky erläutert Tarif-Einigung mit der Bahn

Nach sechs Streiks im aktuellen Tarifstreit haben GDL und Deutsch Bahn ein Optionsmodell bei der Arbeitszeit vereinbart. Bis März 2026 wird es keine neuen Streiks geben.

| Update:

Die Lokführergewerkschaft GDL hat ihr Ziel erreicht und eine 35-Stunden-Woche für Schichtarbeiter bei der Bahn durchgesetzt. Der neue Tarifvertrag enthält ein sogenanntes Optionsmodell, mit dem Mitarbeitende im Schichtdienst künftig selbst über ihre Wochenarbeitszeit entscheiden. Der Korridor geht dabei von 35 bis 40 Stunden. „Dabei gilt das Leistungsprinzip: Wer mehr arbeitet, verdient entsprechend mehr“, erläuterte die Bahn am Dienstagvormittag.

„Wir haben keinen Misserfolg, sondern einen Erfolg, fast auf der ganzen Linie“, sagte der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky am Dienstag in Berlin. Er bedankte sich bei den Fahrgästen, die immer wieder von Streiks betroffen waren, für ihre Geduld.

Ohne Streiks sei aber die Arbeitszeitverkürzung nicht erreicht worden. Mit der Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter – bei der Bahn sind das rund 120.000 – würden nun die Beschäftigten „nach vorne gestellt, die 25 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr“ die Bahn betreiben.

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Bahn-Personalvorstand Martin Seiler stellt die Wahlmöglichkeit heraus, mit der Schichtarbeiter sich zwischen Geld und Zeit entscheiden können. Eine Arbeitsstunde entspricht dabei 2,7 Prozent mehr oder weniger Lohn. So würden zum Beispiel Lokführer oder Zugbegleiterinnen in einer 40-Stunden-Woche rund 14 Prozent mehr verdienen als in einer 35-Stunden-Woche, rechnete die Bahn vor. „Mit der selbstbestimmten Wochenarbeitszeit werden die Bahnberufe insgesamt attraktiver und Leistung lohnt sich“, meinte Seiler.

Stufenweise Absenkung der Arbeitszeiten

Seiler hatte sich lange gegen die Arbeitszeitverkürzung mit dem Hinweis auf den Arbeitskräftemangel gewehrt. Mit der nun getroffenen Regelung könne er leben, weil „der Zeitraum gedehnt“ werde und die Bahn massiv Personal einstelle. Allein in diesem Jahr plane man mit 6000 Azubis, sagte Seiler.

Die Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter sinkt von heute 38 Stunden im Januar 2026 auf 37 und ein Jahr später auf 36 Stunden; 2028 und 2029 folgen weitere Absenkungen um jeweils eine halbe Stunde. Die 35-Stunden-Woche ist also 2029 erreicht.

Bei 29 kleineren Schienenverkehrsunternehmen hatte die GDL in den vergangenen Monaten schrittweise Arbeitszeitverkürzungen auf 35 Stunden bis 2028 vereinbart, allerdings unter dem Vorbehalt, dass entsprechende Schritte auch bei der Bahn gelten. Die Regelungen mit den regional tätigen Wettbewerben der Bahn müssen nun entsprechend verändert werden.

Bahn-Personalchef Martin Seiler (l.) und GDL-Chef Claus Weselsky
Bahn-Personalchef Martin Seiler (l.) und GDL-Chef Claus Weselsky

© picture alliance/dpa/Andreas Arnold

2850 Euro Inflationsprämie

Die GDL hatte ursprünglich eine monatliche Entgelterhöhung um 555 Euro gefordert, dazu eine Erhöhung der Zulagen um 25 Prozent sowie die Verkürzung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden für Schichtarbeiter bis 2028. Alles in allem lagen 35 Forderungen auf dem Tisch, die Seiler zufolge bei einer 1:1-Umsetzung die Personalkosten um 50 Prozent erhöht hätten.

Vereinbart wurde jetzt eine Erhöhung der Entgelte um 210 Euro im August sowie um weitere 210 Euro im April nächsten Jahres. Ferner bekommen die Beschäftigten im März eine steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie von 1500 Euro sowie weitere 1350 Euro voraussichtlich im Mai, teilte die Bahn mit.

Der Tarifvertrag gilt bis Ende 2025, bis zum 28. Februar 2026 gilt die Friedenspflicht der GDL. Ab dem 1. März könnte die Lokomotivführergewerkschaft erneut bei der Bahn streiken.

Kein Tarifvertrag für die Infrastruktur

Das neu entstandene Tochterunternehmen der Bahn, DB InfraGO, soll nicht in den Tarifvertrag der GDL einbezogen werden. Dieser Punkt war der Deutschen Bahn wichtig, die den Einfluss der GDL eindämmen will. Die Deutsche Bahn wendet deshalb seit 2021 das sogenannte Tarifeinheitsgesetz an. Es schreibt vor, dass in den über 300 DB-Betrieben nur der Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft gilt. Eine Mehrheit hat die GDL nach Angaben der Bahn derzeit nur in 18 Betrieben, ansonsten dominiert die EVG.

Auf diesen Punkt ging Weselsky am Dienstag bei der Vorstellung des neuen Tarifvertrags ein. „Die Auseinandersetzung ist noch lange nicht beendet“, sagte der GDL-Vorsitzende. Die Bahn sei „der einzige Arbeitgeber in diesem Lande, der das Tarifeinheitsgesetz gegen seine Arbeitnehmer anwendet“. Der Deutsche Beamtenbund dbb, dem die GDL angehört, hatte den rabiaten Kurs von GDL-Chef Weselsky auch wegen des Streits um die Tarifeinheit unterstützt. dbb-Chef Ulrich Silberbach warf der Bahn vor, die GDL mit der Anwendung des Gesetzes zerschlagen zu wollen. „Jeder Angriff auf eine Mitgliedsgewerkschaft des dbb ist ein Angriff auf den dbb.“

Die Tarifverhandlungen zwischen GDL und Bahn hatten Anfang November begonnen, kurz darauf gab es denn ersten Warnstreik. Zuletzt war Ende Februar eine Verhandlungsrunde gescheitert. In dieser hatten zwei Moderatoren – Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther und der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière (beide CDU) - einen Vorschlag vorgelegt, der eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 36 Stunden vorsah. Weselsky lehnte das ab und rief erneut zum Streik auf.

Am Ende bewirkten dbb-Chef Silberbach und der Aufsichtsratsvorsitzende der Bahn, der frühere Finanzstaatssekretär Werner Gatzer, dass sich die zerstrittenen Tarifparteien wieder an einen Tisch setzten. Es sei „von entscheidender Bedeutung gewesen“, sagte Weselsky mit Blick auf Gatzer und die schließlich erfolgreichen Tarifverhandlungen, „wie sich der Eigentümer gegenüber dem Vorstand verhalten hat“.

Für Weselsky, seit 2008 Vorsitzender der GDL, war es die letzte Tarifauseinandersetzung. Der 65-jährige, gelernte Lokführer, geht im Juni in Rente. Sein Nachfolger soll Mario Reiß werden, derzeit stellvertretender Vorsitzender.

Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Dienst?

Der Tarifabschluss mit der GDL entspricht bei der Entgelterhöhung und der Inflationsprämie dem Tarifvertrag mit der EVG, den die Bahn im August 2023 abschloss. Eine Arbeitszeitverkürzung spielte damals keine Rolle. Das wird im kommenden Frühjahr anders sein: Im April 2025 stehen die nächsten Tarifverhandlungen mit der EVG an.

Bereits Anfang 2025 verhandeln Verdi und dbb über Einkommen und Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst. „Arbeitszeitverkürzung und Arbeitszeitgestaltung werden vermutlich eine Rolle spielen“, sagte der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke kürzlich im Tagesspiegel. Derzeit führt Verdi eine große Befragung zur Arbeitszeit im öffentlichen Dienst durch. „Der Wunsch nach mehr Zeitsouveränität und auch kürzeren Arbeitszeiten ist schon klar erkennbar“, sagt Werneke.

Der Beamtenbund sieht das auch so. „Ich gehe davon aus, dass wir in naher Zukunft auch in anderen Bereichen das Thema Arbeitszeit auf der Tagesordnung haben werden, weil es unseren Mitgliedern ganz einfach unter den Nägeln brennt“, sagt Silberbach. „Von daher kann es nur günstig sein, wenn unsere GDL dieses Thema bereits besetzt.“

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