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Abgewatscht: Türkischer Minister holt sich blutige Nase

Bei der Trauerfeier für einen im Kurdenkonflikt getöteten türkischen Soldaten wurde der Energieminister Taner Yildiz vor laufender Kamera verprügelt. Kein Einzelfall: In mehreren Landesteilen der Türkei wurden Politiker in den vergangenen Tagen im wahrsten Sinne des Wortes abgewatscht.

Sahin Simsek war außer sich vor Wut. Als er vor wenigen Tagen bei der Trauerfeier für einen im Kurdenkonflikt getöteten türkischen Soldaten im zentralanatolischen Kayseri die Mutter des Soldaten weinen sah, marschierte er auf den aus Ankara angereisten Energieminister Taner Yildiz zu. Der Minister wollte im Namen der Regierung sein Beileid ausdrücken. Doch Simsek fand, die Regierung sei wegen ihrer Zugeständnisse an die Kurden mitschuldig am Tod des Soldaten. Vor laufenden Kameras versetzte Simsek, ein Lehrer und früherer Amateurboxer, dem Minister deshalb ein paar gezielte Schläge ins Gesicht. Yildiz sackte zusammen, seine Brille zersprang, seine Nase brach.

Die Faustschläge gegen den Minister waren die zweite Attacke dieser Art innerhalb einer Woche. Am 12. April hatte ein türkischer Nationalist in der Schwarzmeer-Stadt Samsun den Kurdenpolitiker Ahmet Türk in aller Öffentlichkeit ebenfalls die Nase gebrochen. Zwar sind türkische Politiker deftige Auseinandersetzungen gewohnt, auch Schlägereien im Parlament sind keine Seltenheit. Die jüngsten Faustschläge wecken aber die Sorge, dass die Gewalt zum festen Bestandteil der politischen Kultur werden könnte. In mehreren Landesteilen wurden Politiker in den vergangenen Tagen im wahrsten Sinne des Wortes abgewatscht.

Yildiz und Türk wurden zu Opfern nationalistischer Schläger. Rechtsgerichtete Politiker kritisieren Pläne der Regierung, den Kurden mehr Rechte zuzugestehen, um auf diese Weise den seit 1984 andauernden Kurdenkonflikt friedlich beizulegen. Unter dem Motto "Demokratische Öffnung" hat Ankara unter anderem die Gründung kurdischer Sprachinstitute beschlossen und die Benutzung der kurdischen Sprache in Wahlkämpfen freigegeben.

Für Nationalisten grenzt das Vorhaben an Hochverrat. "Hier hast du deine Öffnung", rief Simsek, als er den Minister schlug. Im Polizeiverhör sagte er, er habe im Affekt unter dem Eindruck der weinenden Soldatenmutter gehandelt. Auch der Angreifer von Samsun sagte vor dem Haftrichter, er habe Türk, dessen Partei DTP kürzlich als verlängerter Arm der kurdischen PKK-Rebellen verboten wurde, aus Wut auf die PKK niedergeschlagen. Kurdenpolitikern zufolge wurde die Attacke auf Türk durch die skandalöse Nachlässigkeit der Polizei begünstigt.

Gewalttätige Protestdemonstrationen in türkischen Kurdengebieten

Nach den Schlägen von Samsun brachen in den türkischen Kurdengebieten gewalttätige Protestdemonstrationen aus. In Samsun demonstrierten tausende Nationalisten gegen die Kurden, rechtsgerichtete Zeitungskommentatoren lobten die Faustattacke. Wenige Tage später starben zwei Polizisten bei einem Anschlag. Die Behörden gehen von einer gemeinsamen Vergeltungstat der kurdischen PKK-Rebellen und der linksextremen Gruppe TIKKO aus.

Unterdessen fragen sich Medien und Experten nach den Gründen für die Gewalt. Veteranen wie der Journalist Ali Sirmen von der Zeitung "Cumhuriyet" erinnern sich noch gut an die 1970er Jahre, als sich Rechte und Linke auf den Straßen der Türkei bekämpften und das Land an den Rand des Bürgerkrieges brachten. Die Unruhen lösten schließlich den Militärputsch von 1980 aus. "Die Türkei ist eine Gesellschaft unter Hochspannung, eine Gesellschaft, die zur Gewalt neigt", sagte Sirmen dem Sender CNN-Türk.

Nach Ansicht des Psychologen Kemal Sayar lässt die Polarisierung der politischen Landschaft diese gesellschaftlichen Spannungen schnell in Gewalt umschlagen. "Wenn die Politik zu einer Art Kampf der Gladiatoren wird, wenn in der Politik jedes Mittel recht ist, um zu gewinnen, dann wirkt sich das auch auf die Leute auf der Straße aus", sagte er CNN-Türk. "Die Leute denken, dass es nichts gibt außer ihrer eigenen Realität und Wahrheit, und sie fühlen sich durch andere Ansichten bedroht."

Das gilt offenbar nicht nur für die Schläger von Kayseri und Samsun. Das Faustrecht greift um sich. In Cankiri nördlich von Ankara schlug ein Unternehmer den Bürgermeister, in Diyarbakir in Südostanatolien entging ein Parteipolitiker mit knapper Not einer Abreibung. Selbst Sportstars mischen mit. Zwei Spieler des Istanbuler Erfolgsklubs Galatasaray prügelten sich während einer Trainingseinheit vor laufenden Kameras.

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